Unkonzentriert nur nach dem Triumph
Isabell Werth dominiert das Dressur-Weltcup-Finale – Mit „Weihegold“90,704 Prozent
OMAHA (SID/dpa) - Erst bei der Siegerehrung verlor Isabell Werth kurz den Überblick. Als alles längst für die Zeremonie nach ihrem dritten Weltcup-Sieg bereit war, blieb die erfolgreichste Reiterin der Geschichte grinsend im Sattel ihrer Stute „Weihegold“sitzen und winkte in die Menge. Dann bemerkte Werth ihr Versäumnis, sprang vom Pferd und stieg schnellen Schrittes auf die oberste Stufe des Podiums – die der Sieger eigentlich erst nach Aufruf betritt. „Ich hab’ da irgendwas falsch verstanden“, sagte sie später: „Ich war ein bisschen durcheinander.“
In ihrer mit Höchstschwierigkeiten gespickten Kür hatte Isabell Werth dagegen alles unter Kontrolle. Federleicht schwebte „Weihegold“durch das Viereck, und als die Oldenburger Stute die letzte Mittellinie hinuntertanzte, erhoben sich die Zuschauer von ihren Plätzen und spendeten einer perfekten Darbietung tosenden Applaus. „Ich habe schon vorher gespürt, dass dies unser Tag wird“, sagte Werth, die mit 90,704 Prozent zum zweiten Mal die 90erMarke knackte und in der Endabrechnung geradezu unglaubliche fünf Prozent vor der zweitplatzierten Laura Graves (USA) mit „Verdades“lag.
Isabell Werth ist 47 Jahre alt, und sie hat nach dem Rücktritt der dreimaligen Olympiasiegerin Charlotte Dujardin keine ernsthafte Konkurrenz mehr. In Omaha war mit Ausnahme des Niederländers Hans Peter Minderhoud die komplette Weltelite am Start – die Isabell Werth nach Belieben beherrschte. „Im Sport ist nichts selbstverständlich“, sagt die Rheinbergerin oft, und doch ist es kaum vorstellbar, dass irgendjemand auch nur in ihre Nähe kommt. Werths Situation ist ausgesprochen komfortabel: Bei fünf Weltcup-Starts in dieser Saison gewann sie mit drei verschiedenen Pferden, außer „Weihegold“ genügen auch „Bella Rose“, „Don Johnson“und „Emilio“höchsten internationalen Ansprüchen.
Das Fernziel heißt Tokio 2020
Auf ihrem weiteren Weg kann sich Isabell Werth auch auf ein perfektes Umfeld verlassen. Zu dem gehört neben der langjährigen Mäzenin und engen Vertrauten Madeleine WinterSchulze unter anderem „Weihegolds“Pflegerin Steffi Wiegard, die während der Siegerehrung in Omaha ihren Tränen freien Lauf ließ. „Steffi ist für mich unverzichtbar“, sagte Werth. „Ich hoffe, dass sie immer an meiner Seite bleiben wird, solange ich reite.“Und das wird die sechsmalige Olympiasiegerin sicher noch mindestens drei Jahre lang tun, denn Werths Zielsetzung scheint klar. 2020 in Tokio winkt das zweite olympische Einzelgold nach Atlanta 1996. Es wäre der perfekte Abschluss einer einzigartigen Karriere – oder auch nur ein weiterer Meilenstein für eine Frau, die das moderne Dressurreiten seit Jahrzehnten weiterentwickelt.
Nach einem vierwöchigen Urlaub wird Isabell Werth Ende April bei der Show „Horses and Dreams“in Hagen am Teutoburger Wald wieder in den Sattel steigen. Danach stehen Anfang Juni in Balve die Deutschen Meisterschaften auf dem Programm, gefolgt vom CHIO im Juli in Aachen und der EM im August in Göteborg. Eigentlich alles eine klare Sache, aber: „Ich weiß, wie schnell der Fahrstuhl nach unten rauscht, deshalb bin ich sehr dankbar, dass ich jetzt gerade obenauf bin. Ich genieße jeden Moment.“