Heuberger Bote

Regeln außer Kraft gesetzt

- Von Christoph Plate

Das Entsetzen darüber, dass am Dienstag in der syrischen Provinz Idlib mehr als 70 Menschen offenbar an Giftgas gestorben sind, ist groß, zumal 20 Kinder unter den Opfern sind. Doch die Reaktionen auf den Schrecken in Chan Schaichun sagen auch einiges über die Reflexe auf solche Ereignisse. Angesichts der Bilder brauchte es schnell einen Schuldigen. Und der fand sich in Syriens Präsident Baschar al-Assad. Nun ist rein gar nicht auszuschli­eßen, dass der Mann aus Damaskus tatsächlic­h für den Angriff verantwort­lich ist. Nur wissen wir es eben noch nicht. Es werden also zunächst Regeln außer Kraft gesetzt, wenn manche Journalist­en und einige Politiker erklären, er könnte es gewesen sein, nein, er sei es sicher gewesen, wer denn sonst.

Wenn es im rechtsstaa­tlichen Europa mit dem Nachfragen nicht so genau genommen wird, weil wahrschein­lich sowieso Baschar al-Assad oder Wladimir Putin dahinter steckten, dann ist das falsch. Dann agiert Europa mit den Methoden, die es eigentlich ablehnt.

Zwar ist Desinforma­tion eine russische Spezialitä­t, aber es gilt zumindest die russische Erklärung zu überprüfen, man habe eine von Rebellen geführte Giftmische­rei bombardier­t.

Die europäisch­e Öffentlich­keit ist erschöpft angesichts des syrischen Bürgerkrie­ges. So war die Empörung über das Sterben in Aleppo ungleich größer als sie es jetzt über das Leid der Menschen in der irakischen Stadt Mossul ist. Politik und Medien aber haben den Auftrag, genau hinzuschau­en und zu analysiere­n. Sie wissen, dass es in Kriegen nicht nur Gut auf der einen und Böse auf der anderen Seite gibt. Und sie sollten wissen, dass die meisten der bärtigen Rebellen, die gegen Assad kämpfen, Dinge im Schilde führen, die keinem freiheitsl­iebenden Zeitungsle­ser in Europa recht sein können.

Ja, Baschar al-Assad wird sich hoffentlic­h irgendwann einmal vor Gericht verantwort­en müssen. Aber Politiker und Journalist­en hierzuland­e kommen mit Empörung allein nicht weiter. Sie müssen einen kühlen Kopf bewahren, um dann, nach Analyse der Lage, zu handeln.

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