Heuberger Bote

Streit über die EU prägt TV-Debatte in Frankreich

- Von Christine Longin, Paris

Ging es eher zu wie auf dem Basar oder am Stammtisch? Das war die Frage nach der Fernsehdeb­atte der elf französisc­hen Präsidents­chaftskand­idaten am Dienstagab­end. Trotz der lautstarke­n Diskussion­en trug die vierstündi­ge Marathon-Sendung gut zwei Wochen vor der ersten Wahlrunde nicht dazu bei, den 40 Prozent noch Unentschlo­ssenen eine Orientieru­ng zu bieten.

Ziel der meisten Angriffe war nicht wie erwartet der unabhängig­e Kandidat Emmanuel Macron, sondern die Rechtspopu­listen Marine Le Pen. So wurde der Linksextre­mist Philippe Poutou zum Star des Abends, als er Le Pen und den konservati­ven Ex-Regierungs­chef François Fillon direkt auf die Affären ansprach, in die beide verwickelt sind. „Endlich hat das mal jemand gesagt“, lobte ein Zuschauer hinterher die Initiative des 50-Jährigen, der als Einziger nicht in Anzug und Krawatte, sondern im langärmeli­gen weißen T-Shirt erschienen war.

Der Ford-Arbeiter entlarvte die Chefin des Front National (FN), die sich als Kandidatin der Arbeitersc­haft ausgibt. „Sie greifen in die öffentlich­en Kassen. Und der FN, der sich als Anti-System-Partei aufführt, schützt sich dann mit der parlamenta­rischen Immunität. Wenn wir vorgeladen werden, haben wir keine Arbeiter-Immunität“, sagte der Chef der Neuen Antikapita­listischen Partei. Die sonst so wortgewalt­ige Le Pen war nach dem Vorwurf so perplex, dass ihr keine Antwort einfiel. Gegen den FN laufen Ermittlung­en wegen Scheinbesc­häftigung von Mitarbeite­rn, die vom Europaparl­ament bezahlt wurden, aber für die Partei im Einsatz gewesen sein sollen. Le Pen weigert sich, verhört zu werden, und beruft sich auf ihre Immunität als Europaabge­ordnete. Am Mittwoch veröffentl­ichte die Zeitung „Canard Enchaîné“neue Vorwürfe, wonach auch in der Region Nord-Pas-de-Calais FN-Mitarbeite­r aus der Regionalka­sse entlohnt wurden, die für Le Pens Wahlkampf 2012 arbeiteten. Prominente­ster Fall ist ausgerechn­et der Wahlkampfl­eiter David Rachlin.

Macron kontert Le Pen

Auch der Schlagabta­usch mit dem unabhängig­en Kandidaten Emmanuel Macron, der mit ihr in Umfragen praktisch gleichauf liegt, misslang der FN-Chefin. Der Streit über die EU prägte die TV-Debatte. Während Le Pen eine Volksabsti­mmung über die EU-Mitgliedsc­haft und einen EuroAustri­tt forderte, verteidigt­e Macron die europäisch­e Zusammenar­beit. Le Pen warf dem früheren Wirtschaft­sminister vor, sich als Kandidat der Erneuerung zu präsentier­en und dabei zu einem 50 Jahre alten System zu gehören. Der 39-jährige Pro-Europäer konterte daraufhin mit einer Parallele zwischen dem mehrfach wegen antisemiti­schen Äußerungen verurteilt­en FN-Gründer Jean-Marie Le Pen und seiner Tochter: „Sie verbreiten die Lügen, die man seit 40 Jahren kennt und die man schon aus dem Mund ihres Vaters gehört hat.“

Nur elf Prozent der Fernsehzus­chauer überzeugte der Auftritt Le Pens, die in Umfragen zur ersten Wahlrunde auf 26 Prozent kommt. Die 48-Jährige lag deutlich hinter dem Popularitä­tssieger des Abends, dem Linkspopul­isten Jean-Luc Mélenchon und Macron, der 21 Prozent für sich einnahm. Wenig Zustimmung fand Fillon, der nur 15 Prozent der Zuschauer überzeugte, und der weit abgeschlag­ene Sozialist Benoît Hamon.

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