Musikpreis mit Misstönen
Echo-Verleihung löst Kritik aus – Böhmermann wird von Campino zurechtgewiesen
(dpa) - In seinem 26. Jahr probt der deutsche Musikpreis Echo einen Neustart. Doch mutet an diesem Abend vieles wie ein immer wiederkehrendes Familientreffen an: Man freut sich, dass man sich mal wieder sieht und verliert sich dann schnell wieder aus den Augen.
Als Sasha und Xavier Naidoo zur Echo-Verleihung antreten, wollen die Gags nicht so richtig zünden. Sie seien „Hosts“, also Gastgeber, und keine Moderatoren, sagen die beiden zaghaft. Gestellt wirken die Dialoge der beiden Sänger, manchmal landen die Scherze im Nichts.
Als Andrea Berg sich ihren Preis in der Schlagerkategorie für „Seelenleben“abholen soll, wird nicht mal ihr Name genannt. Xavier Naidoo summt eines ihrer Lieder, jeder im Saal weiß sofort, wer gemeint ist.
Das deutsche Star-Aufgebot ist ordentlich: Udo Lindenberg und BAP-Sänger Wolfgang Niedecken sind gekommen, Rammstein-Frontmann Till Lindemann ist dabei ebenso wie Eurovisions-Gewinnerin Lena Meyer-Landrut.
Einer ist nicht da – und doch Gesprächsthema Nummer eins: Jan Böhmermann zog wenige Stunden vor der Gala in seiner ZDFneo-Sendung „Neo Magazin Royale“derb vom Leder und sprach von der „seelenlosen Kommerzkacke“, die beim Echo gepriesen werde. „Gefühle abklappern, Trost spenden, Tiefe vorgaukeln“, beschreibt er die deutsche Popmusik. Dafür musste er sich von Campino in der Show als „cooles Arschloch“bezeichnen lassen – unter Applaus der anwesenden Gäste aus der Musikbranche.
Allzu viele Freunde hat Böhmermann dort vermutlich nicht mehr, zeigte er in seiner Show auch noch ein satirisches Musikvideo: „Menschen Leben Tanzen Welt“. Den Song haben angeblich fünf Schimpansen aus dem Zoo aus Schnipseln deutscher Pop- und Werbetexte zusammengestellt. Sein Kalkül, dass die Affen im kommenden Jahr für einen Echo nominiert werden, könnte aufgehen. Nach wenigen Stunden klettert der Böhmermann-Act in die Top 20 der iTunes-Charts, bei den Amazon-Downloads schafft er es an die Spitze.
Aber nicht erst jetzt ist der deutsche Musikpreis ins Gerede gekommen. Enttäuschende TV-Quoten, Kritik an der Show und an den Nominierungen – nach einem Vierteljahrhundert sei die Leistungsschau der Pop- und Schlagerbranche „erschöpft“, hatte die ARD den Ausstieg aus der Live-Übertragung im vergangenen Jahr begründet.
Diesmal wirkt die Show kompakter, fast durchgetaktet, die Preise werden mehr oder weniger zügig ausgerufen. Doch auch wenn die Kategorien von 31 auf 22 eingedampft wurden und die Stimmen der Juroren mehr Gewicht bekommen haben – alles wirkt noch immer recht willkürlich. Und vor allem keine Experimente wagen: Udo Lindenberg bekommt gleich drei Preise: als bester deutscher Popkünstler, für sein Produzenten-Team und den wichtigen Preis für das beste Album („Stärker als die Zeit“).
Schiefe Vergleiche
Warum aber der britische Bluesund Soulsänger Ra’n’Bone Man gleichzeitig als bester internationaler Künstler und als bester Newcomer ausgezeichnet wird, oder sich die Broilers den Preis per Video selber geben, wirkt manchmal undurchsichtig, manchmal konfus.
Ein wenig Zeit für Emotionen bleibt dann auch noch, etwa wenn die Show an die im vergangenen Jahr verstorbenen Musiker erinnert: George Michael, Prince, Leonard Cohen. Sasha und Xavier Naidoo stimmen dazu Elton Johns „Don’t Let The Sun Go Down on Me“.
Oder als Olli Dittrich seinen Freund Marius Müller-Westernhagen („Du alter Sack“) auf eine Ebene mit Hermann Hesse, Kurt Tucholsky und Bertolt Brecht stellt und für sein Lebenswerk ehrt. „Einer, der die Schönheit liebt und bis ans Ende seiner Tage ein Romantiker bleibt“, sagt Dittrich. In seiner Dankesrede appelliert Westernhagen an Menschlichkeit und Toleranz, dann singt er „Freiheit“– ein Gänsehautmoment. Überhaupt: Die Musikeinlagen sind die Höhepunkte der Show.
Diejenigen, die noch ganz neu dabei sind, sind begeistert, da können andere an dem Preis noch so rummäkeln: An den zweifach nominierten Youtube-Stars Die Lochis prallt das alles ab. Kritik gebe es ja immer, sagt einer der beiden, Heiko Lochmann. Hier sei alles nur noch „wahnsinnig“und „megakrass“. Die Kritiker dürfte das wenig beeindrucken.