Martin Luther in der Cyber-Welt
In einem Doku-Thriller beruft sich ein Whistleblower auf den Reformator
a wagt die ARD einmal ein neues Format, und schon rutscht es in das Spätprogramm. Völlig unverständlich, da „Die Luther Matrix“zwar sehr spannend, aber keineswegs grausam oder gewaltverherrlichend ist. In dem Doku-Thriller von Tom Ockers gehen die Protagonisten bei ihren Recherchen über den Reformator Luther einen ungewöhnlichen Weg, der zwar die Welt der digitalen Generation widerspiegelt, aber auch Nicht-Technikfans einbindet.
Im Mittelpunkt steht das Computergenie Carsten von Lupfen (Marek Harloff), der als Systemadministrator im Bundeskanzleramt Zugang zu geheimen Dokumenten hat. Da er Demokratie und Freiheit in Gefahr sieht, spielt er den Whistleblower und veröffentlicht Top-Secret-Papiere im Netz. Er wird gefasst und im CyberAbwehrzentrum verhört. Zur Verblüffung von Verfassungsschützerin Kerstin Straube (Sheri Hagen) zitiert von Lupfen Martin Luther, als er Beweggründe für sein Tun nennen soll: „Hier stehe ich, ich kann nicht anders. Gott helfe mir.“Zwar wird damit ein Satz bemüht, der so wohl nie gefallen ist, aber er bringt eben die Standfestigkeit des kleinen Mönchs Luther vor Kaiser und Reichstag in Worms 1521 griffig auf einen Nenner. Für den „Staatsfeind“im Verhörraum ist Martin Luther das Vorbild für seinen Kampf um Freiheit. Damit gibt er den Ermittlern Rätsel auf. Sie sind gezwungen, sich mit jenem Mann genauer zu befassen, der vor 500 Jahren nicht nur die Bibel fürs Volks übersetzte und dem Papst in Rom das Ablassgeschäft vermieste, sondern auch die Macht der Medien erkannte.
Es ist zwar eine Herausforderung, die Verbindungslinien von heute in die mittelalterliche Welt zu verfolgen und darin die Konsequenzen für das angeblich staatsfeindliche Agieren des Whistleblowers zu erkennen. Aber dieser Trick bietet den Akteuren die Möglichkeit, die Handlung in einer fast futuristischen Umgebung spielen zu lassen, in der Hacker und Internetspezialisten die Welt von ihrem Computer aus kontrollieren und manipulieren. Gleichzeitig springt die Kamera in das normale moderne Leben, holt kirchliche Akteure wie Gerhard Kardinal Müller und Luther-Botschafterin Margot Käßmann vor die Kamera und lässt auch Wissenschaftler wie Professor Heinz Schilling und Professor Gerhard Fouquet zu Wort kommen. Die Interviews führt Carlotta Kuttner (Annett Fleischer), die in diesem Film als Kommissarin des Bundeskriminalamtes von Wittenberg nach Rom, vom Schloss Hohenlupfen bei Stühlingen bis Hamburg reist, um den Ermittlern in der Zentrale wichtige Erkenntnisse über Luthers positive und negative Seiten zuzuspielen. Erstaunlich, dass für dieses Filmprojekt so hochkarätige Gesprächspartner gefunden wurden. Sie nahmen ihren Part auch durchaus ernst, obwohl ihnen nicht viel Zeit eingeräumt wurde. Die Ermittlerin steht schließlich unter Zeitdruck. Von Lupfen hat weitere Veröffentlichungen angekündigt ...
Kleine humorvolle Akzente
Trotz des Krimimilieus gibt es auch kleine humorvolle Akzente. So ist Cyber-Analyst Albrecht Unna (Michael Steinocher) zwar ein Spitzenmann für Programmiersprachen, aber wie man Luther schreibt, muss ihm erst einmal buchstabiert werden. Dass die Erklärstücke zu Luther mit Comic-Figuren übers Tablet gehen, ist clever gemacht. „Luther in 100 Sekunden“– schneller geht es wohl kaum.
Bleibt die Frage: War Luther nun ein Staatsfeind wie der Whistleblower von Lupfen? Hier bietet sich die Antwort von Historiker Schilling an: „Heute sieht man Freiheit natürlich ganz unlutherisch. Luther ist kein Revolutionär, wie man ihn gelegentlich darstellt. Er will die Gesellschaft nicht umstürzen. Sondern er will sie dem Evangelium gemäß neu ordnen.“