Prügelprozess: Neun und zehn Jahre Haft
Urteil nach 21 Verhandlungstagen verkündet – 21-jähriges Opfer leidet an den Folgen der Tat
– Vorläufiges Ende des Prügelprozesses: Am gestrigen 22. Verhandlungstag hat das Urteil der 1. Schwurgerichtskammer Rottweil auf „versuchter Totschlag und gefährliche Körperverletzung“gelautet. Der nicht vorbestrafte 34-jährige Angeklagte wurde zu neun, sein bereits gefängniserfahrener 38-jähriger Mittäter zu zehn Jahren Haft verurteilt.
„Das Mordmerkmal ‚niedrige Beweggründe‘ hat die Kammer verneint“, sagte der Vorsitzende Richter Karlheinz Münzer in seiner 100 Minuten währenden Urteilsbegründung. Die Gesetzgebung habe sehr strenge Anforderungen an diesen Strafbestand. Die „subjektive Seite“dieses Merkmals sahen die drei Berufsund zwei Laienrichter als nicht restlos erfüllt an. Die Täter hatten in ihrem Zustand nicht die Fähigkeit, die Degradierung des ihnen völlig unbekannten jungen Mannes als „willkürliches Opfer ihrer Wut“zu erkennen.
Die Kammer folgte der Empfehlung des psychiatrischen Sachverständigen, der eine Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit durch verschiedene Ursachen bei den Tätern nicht ausschließen konnte. Demnach musste der Paragraf 21 des Strafgesetzbuchs, „verminderte Schuldfähigkeit“, angewendet werden und der Strafrahmen von „fünf bis 15“auf „zwei bis elfeinhalb Jahre“herabgesetzt werden. Wegen der einschneidenden psychischen und physischen Folgen der Tat für den heute 21-jährigen Geschädigten und der „Vollendungsnähe“liegt das Urteil im oberen Bereich.
Richter Münzer ließ den mit sieben Monaten ungewöhnlich langen Prozess detailliert Revue passieren: „Wir haben 69 Zeugen und sieben Sachverständige angehört und so die Vorfälle, die sich am frühen Morgen des 19. Dezember 2015 auf Höhe des ‚Nahkauf‘ zugetragen haben, aufklären können.“
Im Laufe der Verhandlung waren noch zahlreiche Nachermittlungen durch die Kriminalpolizei erfolgt. Der Vorsitzende ging auf die Lebensläufe der beiden aus Rumänien stammenden Angeklagten ein: „gänzlich unauffällig“bei dem 34-Jährigen, einem gelernten Förster, der als Autohändler häufig nach Deutschland gekommen war und sich seit Mitte 2015 in Tuttlingen aufgehalten hatte. Ganz anders bei dessen jetzt 38-jährigem Kumpel, der in schwierigen Verhältnissen aufwuchs, nur drei Jahre Schulbildung erfuhr und in seiner Heimat insgesamt fast zwölf Jahre hinter Gittern verbracht hatte. Im Sommer 2015 hatte es ihn nach Tuttlingen verschlagen, bereits im Oktober hatte er „Probleme“, die er mittels eines Samurai-Schwerts zu lösen versuchte. Selbst auf Polizeibeamte war er mit der hoch erhobenen Waffe losgegangen, ließ sich erst nach Schusswaffeneinsatz bändigen.
Als Motiv für die folgenschwere Prügelattacke sah die Kammer, ähnlich wie die Staatsanwältin, die Haftstrafen von zehn beziehungsweise zwölfeinhalb Jahren gefordert hatte, Wut über den Rauswurf aus dem Campus-Club durch Security-Mitarbeiter. „Massiv verärgert, in Rage“, hätten sich die beiden Angeklagten kurzfristig getrennt, dann aber wieder getroffen und mit „Birkenstock und Pflanzholz bewaffnet die Gegend nach geeigneten Gegnern abgesucht“. Einer der beiden jungen Männer, die beim ZOB-Taxistand warteten, erkannte die Gefahr und floh, der 21-Jährige war durch sein Mobiltelefon abgelenkt und wurde so das Ziel der beiden Schläger. Nach 30 Sekunden sei er „blutend, zuckend und nicht mehr ansprechbar“von den Tätern liegen gelassen worden. Einen sogenannten „Mittäterexzess“schloss die Kammer ebenso aus wie die Möglichkeit, dass ein Dritter kurzfristig den 38-Jährigen ersetzt und dann „urplötzlich ins Nichts verschwunden“wäre.
Auch das Nachtatverhalten – die Flucht nach Horb – spreche für die Schuld der beiden Männer, die dort am 23. Dezember 2015 von einer Spezialeinheit verhaftet wurden und sich seither in Untersuchungshaft befinden. Die beiden Angeklagten zeigten keine erkennbare Regung, als der Vorsitzende Richter das Urteil verkündete und die Haftfortdauer anordnete. Ihnen steht, ebenso wie dem Nebenkläger, der Weg eines Revisionsantrags offen.