Zu wenig Personal für Naturschutz
Umweltminister: Experten in Landratsämtern sind überlastet
- Die Landkreise beklagen sich schon lange über eine Überlastung ihrer Naturschutzbehörden – nun sehen sie sich durch eine Studie für das baden-württembergische Umweltministerium bestätigt. Den Mangel bekommen auch Bürger zu spüren, etwa bei bestimmten Bauvorhaben. Zudem verursachen immer neue Gesetze und Richtlinien mehr Arbeit, ohne dass bei den Behörden entsprechendes Personal bereit steht.
Der Rangenberg bei Isny ist ein beschaulicher Ort, Spaziergänger blicken von hier auf das Voralpenland und die nahe Nagelfluhkette. Seit zweieinhalb Jahren können sie in der „Alphornkapelle zur Heiligen Cäcilia“innehalten. Die „Adelegger Alphornbläser“haben den runden Holzbau errichtet, auf dessen kupfergedecktem Dachstuhl ein Türmchen mit Glocke thront. Zur Weihe der Kapelle im September 2014 schaute sogar der Rottenburger Bischof Gebhard Fürst vorbei.
Die Glocke und der Uhu
Bevor sie die Kapelle bauen durften, mussten die Alphornbläser allerdings untersuchen lassen, ob der Bau den streng geschützten Uhu stören könnte. Noch 50 bis 70 Brutpaare leben in Baden-Württemberg, einige davon in der nahegelegenen Adelegg. Das Landratsamt Ravensburg forderte daher ein Uhu-Gutachten an. Fraglich war etwa, ob das Bimmeln der Glocke durch Spaziergänger oder Pilger den Uhu beim Brüten, bei der Balz oder der Jagd stören könnte.
Ergebnis des vierseitigen Papiers: „Das gelegentliche Läuten der Kapellenglocke stellt nur ein sporadisch auftretendes Ereignis während der Tagstunden dar“, deswegen „ist eine Beeinträchtigung des UhuBrutvorhabens bzw. der Individuen selbst nicht zu erwarten.“Um diese Erkenntnis dem Landratsamt schriftlich vorlegen zu können, mussten die Alphornbläser 750 Euro an ein Lindauer Planungsbüro zahlen, berichtet der Vereinsvorsitzende Frank Berlinger.
Ob es um ein Windrad geht, um einen Stall oder eben eine Kapelle: Für die naturschutzrechtliche Bewertung von Bauvorhaben in der freien Landschaft sind die Unteren Naturschutzbehörden der Kreise zuständig. Von den Stellungnahmen der hauptamtlichen Naturschützer hängt eine Genehmigung ab. Bei Verstößen gegen rechtliche Vorgaben können sie Auflagen aussprechen. Das kann – je nach Projekt – der Bau von Fledermauskästen sein oder der Schutz von Nistplätzen seltener Vögel. Im Fall der Kapelle am Rangenberg dürfen die Alphornbläser dort mögliche Feierlichkeiten nur im Spätsommer ausrichten, wenn Uhus weder brüten noch balzen.
Allerdings sieht eine Untersuchung im Auftrag des Landesumweltministeriums die Naturschutzverwaltung „zum Teil bereits über die Grenzen der Belastbarkeit hinaus gefordert“. „Gerade die Naturschutzverwaltung kämpft seit Langem damit, dass auf der einen Seite die Aufgaben zunehmen und zum Beispiel aufgrund europa- und bundesrechtlicher Vorgaben immer komplexer werden, dass auf der anderen Seite aber die Personalausstattung mit den steigenden Ansprüchen nicht Schritt hält“, stellt Umweltminister Franz Untersteller (Grüne) fest.
Einen immer größeren Teil ihrer Arbeitszeit müssen die Mitarbeiter der Untersuchung zufolge für Genehmigungsverfahren aufbringen. Für andere Tätigkeiten, darunter die Aus- und Weiterbildung, bleibt kaum Zeit. Das hat unter anderem zur Folge, dass jeder vierte Behörden-Naturschützer angab, „aufgrund fehlenden Wissens“von einem Antragsteller „häufiger umfangreiche Gutachten und Unterlagen“anzufordern. Mit andern Worten: Zur Sicherheit werden Gutachten eingeholt, die womöglich gar nicht nötig wären. Das kostet Geld und Zeit.
Einen weiteren Grund für die Überlastung der Naturschutzbehörden sieht der Allgäuer CDU-Landtagsabgeordnete Raimund Haser, naturschutzpolitischer Sprecher seiner Fraktion: Die Bereitschaft der Bevölkerung, gegen Bauprojekte vorzugehen, sei in jüngerer Zeit „extrem gewachsen“. „Wer etwas verhindern möchte, der hat bestimmte Möglichkeiten, und der Naturschutz ist eine davon“, sagt Haser. „Auf dem Rücken der Naturschutzverwaltung werden äußerst menschliche Streitigkeiten ausgetragen.“Wichtig seien schnellere Verfahren – und frühzeitige Klarheit für Investoren, ob ein Projekt genehmigt werden kann oder nicht.
„Gravierende Vollzugsschwäche“
Zu den Aufgaben, die nach Ansicht der Mitarbeiter in der Naturschutzverwaltung zu kurz kommen, gehört die Kontrolle der einmal vorgeschriebenen Auflagen. In der Untersuchung für das Umweltministerium ist deswegen von einer „gravierenden Vollzugsschwäche“die Rede und von einer „in der Gesamtschau negativen Bewertung der Effektivität der Naturschutzarbeit“.
„Wir haben ein immenses Vollzugsdefizit“, klagt auch Gerhard Bronner, Vorsitzender des Landesnaturschutzverbands. Zwischen den Kreisen gebe es erhebliche Unterschiede: Während die Naturschutzbehörde etwa in den Kreisen Ravensburg und Bodensee vergleichsweise gut aufgestellt sei, sei der Landkreis Sigmaringen – jedenfalls unter dem früheren Landrat – eher ein Negativbeispiel. Zwar würden Ehrenamtliche den Behörden Missstände und Verstöße gegen Naturschutzbestimmungen melden. „Aber in Kreisen, in denen die Personaldecke besonders eng ist, geht das unter.“