Er ist guter Dinge
Papst Benedikt XVI. begeht am Ostersonntag seinen 90. Geburtstag – Ein Rückblick
Eigentlich ist für einen frommen Katholiken, und dazu zählt der emeritierte Papst Benedikt XVI. ganz gewiss, eine Geburtstagsfeier nicht vorgesehen. Das war und das ist im Haus Ratzinger nicht anders: „Das war in Bayern nicht üblich. Man hat den Namenstag gefeiert. Der hat einen an die Taufe erinnert und an den Heiligen, der unser Leben inspirieren sollte“, sagte PapstBruder Georg Ratzinger einmal. Dennoch wird Benedikt, der am Ostersonntag sein 90. Wiegenfest begeht, den Ehrentag feiern. Im kleinen Kreis, heißt es, eine Feier mit bis zu 50 geladenen Gästen aus Bayern und aus Rom sei geplant. Der Nachfolger, Papst Franziskus kommt am Sonntag nach dem Segen „Urbi et orbi“vorbei. Und für Montag haben sich der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer und die unvermeidlichen bayerischen Gebirgsschützen angesagt.
Wäre es nach dem Geburtstagskind vom Ostersonntag persönlich gegangen, hätten Seehofer und die Gebirgsschützen zum 90. Geburtstag einen sehr viel kürzeren Weg gehabt: nach Pentling bei Regensburg. Dort hatte der damalige Theologieprofessor Joseph Ratzinger in den 1970erJahren ein Haus gekauft, dort wollte er seinen Ruhestand verbringen: Klavier spielend, forschend, schreibend. Und ab und zu mit den Nachbarn ratschen, deren Kater Chico streicheln.
Andere Pläne
Doch es ging nicht nach den Plänen des Theologieprofessors Joseph Ratzinger, der nach einer glänzenden wissenschaftlichen Karriere, einigen Jahren als Erzbischof von München und Freising ab 1982 als Präfekt der Glaubenskongregation im Vatikan das „theologische Gehirn“von Papst Johannes Paul II. war.
Schon mit 75 Jahren, 2002, zeigte sich Ratzinger amtsmüde und wollte nach Pentling umziehen – doch Johannes Paul II. überredete ihn zu bleiben. So wurde er zur neuen Überfigur, als der Papst aus Polen 2005 nach langem Todeskampf starb. Am 19. April wurde Ratzinger zum Papst gewählt. Er nannte sich Benedikt XVI. – nach dem Patron Europas Benedikt von Nursia (480-547).
Viele sprachen von einem Papst des Übergangs: 78 Jahre alt und aus seinen Gedanken an das Klavier und den Ruhestandsschreibtisch gerissen. Freimütig berichtete der neue Pontifex, wie „das Fallbeil“auf ihn niedergegangen war.
Der Mensch Joseph Ratzinger schien bei Papst Benedikt XVI. aber viel stärker durch als zuvor beim über zwei Jahrzehnte gefürchteten Glaubenswächter an der Spitze der Glaubenskongregation. Der neue Papst fiel auf durch Einfachheit, Bescheidenheit, Harmoniebedürfnis. Seine drei Enzykliken gehören zum Besten päpstlicher Theologie überhaupt. Der Schweizer Kurienkardinal Kurt Koch erklärt: „Die Enzykliken (...) zeigen: Das Zentrum des Glaubens ist Glaube, Hoffnung, Liebe. Hier haben wir den Nukleus der ganzen Theologie von Papst Benedikt und Joseph Ratzinger.“Die Ökumene, der Austausch mit den protestantischen und orthodoxen Kirchen, war ihm ein Herzensanliegen.
Theologisch brillant, emotional unterkühlt: Anders als sein Vorgänger und auch sein Nachfolger, löste Benedikt keine Begeisterungsstürme aus. Die mediale Präsenz des „Professors Papst“blieb vor allem seit 2010 überschaubar. Und es gab Missverständnisse sowie Pannen: mit den Pius-Brüdern, den veröffentlichten Geheimpapieren („Vatileaks“) und der verunglückten Regensburger Rede. Der Missbrauchs-Skandal setzte Benedikt persönlich sehr zu.
Ein unspektakuläres Ende des Pontifikates schien absehbar. Doch wieder kam es anders. Papst Benedikt XVI. ging an dem Tag in die Geschichte ein, an dem er im Februar 2013 auf Latein bei einer Routineversammlung von Kardinälen überraschend seinen Rücktritt ankündigte, als erster Papst seit dem Mittelalter. Das Kirchenoberhaupt stieß durch seinen Amtsverzicht konservative Kirchenkreise vor den Kopf. Von einer „Entzauberung“des Amtes war die Rede. Zugleich machte er damit den Weg für Reformen in der vatikanischen Kurie frei.
Benedikts Privatsekretär, Erzbischof Georg Gänswein, begründet den Schritt heute so: „Die Kirche braucht nicht nur das prophetische Wort, sondern auch das offene Gespräch wie die Luft zum Atmen. Päpste müssen daher auch reisen wie die Apostelfürsten Petrus und Paulus. Und die Herde der Christen braucht einen Oberhirten, der unermüdlich darauf schaut, dass sie sich nicht zerstreut.“Diesen weltweit wahrzunehmenden Aufgaben habe Benedikt nicht mehr nachkommen können. Darum der Rücktritt. Ein Schritt, den Benedikt, so sagte es Gänswein in einem Interview mit der italienischen Zeitung „La Repubblica“, „nie bereut“hat.
Menschliche Seite des Papstamtes
Ob Benedikt mit seinem Amtsverzicht vor vier Jahren eine Vorlage für die Päpste nach ihm geschaffen hat, ist umstritten. Nach Meinung des Historikers Volker Reinhardt hat Benedikt die menschliche Seite des Papstamtes betont. „Natürlich kann das ein Schritt zu einem im weitesten Sinn befristeten Amtsverständnis sein“, sagte Reinhardt, der im schweizerischen Fribourg lehrt: „Das ist in der Geschichte der Päpste so nicht angelegt.“Seit vier Jahren lebt Benedikt XVI. sehr zurückgezogen in einem Kloster im Vatikan. Im Gebet wolle er der Kirche fortan dienen, so hatte er es bei seiner Rückzugsankündigung am 11. Februar 2013 gesagt. Selten zeigt er sich öffentlich, fast immer auf besondere Einladung von Papst Franziskus, den er dann herzlich umarmt. Die wenigen halböffentlichen Ansprachen kann man an den Fingern einer Hand abzählen.
„Papst Benedikt ist guter Dinge“, sagte sein Privatsekretär Erzbischof Georg Gänswein im vergangenen Jahr im Interview mit der „Schwäbischen Zeitung“: „Der Kopf ist klar, hell, in Ordnung. Die Beine sind etwas müder geworden. Vor allem beim Gehen wird es mühsam. Mit dem Rollator geht es, der gibt Stabilität und Sicherheit. Die Psychologie ist ja genauso wichtig wie die Physiologie. Aber die Kräfte haben einfach nachgelassen. Auch ein ,Papa emeritus’ ist ein Mensch, der diesen natürlichen Gesetzen unterliegt.“
Doch sind zwei Päpste im Vatikan nicht vorgesehen. Missverständnisse sind die Folge. Im Mai 2016 hatte Gänswein in einer Rede an der Universität Gregoriana in Rom gesagt, nach dem Amtsverzicht von Benedikt XVI. gebe es zwar keine zwei Päpste, „aber de facto ein erweitertes Amt – mit einem aktiven und einem kontemplativen Teilhaber“. Benedikt XVI. habe seinen Stuhl geräumt, doch den Petrusdienst mit seinem Rücktritt nicht verlassen. Er habe das „personale Amt stattdessen ergänzt um eine kollegiale und synodale Dimension, als einen quasi gemeinsamen Dienst“. Wenig später musste Gänswein zurückrudern: Er habe keineswegs zum Ausdruck bringen wollen, dass es aus seiner Sicht zwei Päpste gebe und Franziskus dieses Amt nicht rechtmäßig innehabe. Wörtlich sagte er: „Papst Franziskus ist der rechtmäßig gewählte und der rechtmäßige Papst. Insofern gibt es also nicht zwei – einen rechtmäßigen und einen unrechtmäßigen“. Man habe ihm Dinge unterstellt, die er gar nicht gesagt habe, so Gänswein.
Angebliche Freunde des zurückgetretenen Kirchenoberhauptes hören diese Missverständnisse gerne. Wecken sie doch Zweifel, ob Papst Franziskus seiner Aufgabe wirklich angemessen nachkommt. Zum Geburtstag werden diese „Freunde“ihre Kritik am amtierenden Papst in Glückwünsche verpacken. Sie werden Benedikt als großen Lehrer der Theologie loben – und Franziskus’ angebliche theologische Unbedarftheit kritisieren. Sie werden an die geschliffenen, theologisch durchdachten und abgewogenen Formulierungen Benedikts erinnern, die Halt gaben in einer Zeit, in der vieles ungewiss schien und alte Sicherheiten zu verschwinden drohten.
Natürlich wisse Benedikt XVI. durch seine Lektüre von Kommentaren, die einen Gegensatz zwischen seinem Pontifikat und dem von Franziskus sehen wollten. „Aber er lässt sich von solchen Artikeln oder Behauptungen nicht provozieren. Er hat entschieden, zu schweigen, und er bleibt dieser Entscheidung treu.“Er habe „keinerlei Absicht, in einen Streit einzutreten, von dem er sich weit entfernt fühlt“, betont Privatsekretär Gänswein.
Gern erinnert wird in diesen Tagen auch an eine Verschwörungstheorie. Konservative katholische Blogger und ein leibhaftiger italienischer Erzbischof glauben, dass Benedikt XVI. von einer fremden Macht aus dem Amt gedrängt worden sei. Die Obama-Administration habe seinerzeit beschlossen, im Vatikan einen „Regierungswechsel“zu bewerkstelligen. Der „islamkritische, traditionsverhaftete, homophobe und eurozentrische RatzingerPapst“sollte demnach aus dem Amt gedrängt werden und Platz machen für einen „linken“Papst, der mehr zu Obamas (und Clintons) globaler Agenda passte. Aus diesem Grund habe ein US-Geheimdienst „Vatileaks“organisiert und damit letztlich den Papst zum Rücktritt gedrängt.
Die Verschwörungstheorie wurde dementiert. Doch ihr Weiterleben in Internetforen geht einher mit einem gerüttelt Maß an Nostalgie all jener, die noch immer dem deutschen Theologen und Denker auf dem Papstthron nachtrauern. Auch im deutschen Sprachraum gibt es Blogger und Twitterer, die historische Benedikt-Texte in die aktuelle Debatte einbringen; etwa der in Rom lehrende katholische Philosoph Armin Schwibach. An manchen kirchlichen Festtagen verlinkt er kommentarlos auf eine dazu passende Predigt von Papst Benedikt XVI. mit Gedanken, die so im Internet immer wieder zu neuem Leben erweckt werden.
Verantwortung für sich
Die wöchentlichen Sonntagspredigten, die der emeritierte Papst für die ganz kleine Gemeinde im Kloster „Mater Ecclesiae“hält, sind nicht überliefert. Aber sie böten wahrscheinlich wenig Stoff, um Gerüchte zu nähren. Und Benedikt, der in einem besonders langen Interview, das er mit dem deutschen Journalisten Peter Seewald führte und das 2016 unter dem Titel „Letzte Gespräche“in Buchform veröffentlicht wurde, scheint damit zufrieden zu sein, dass er jetzt nur noch Verantwortung für sich trägt: „Ich bin Gott dankbar, dass diese Verantwortung, die ich nicht mehr tragen könnte, nicht mehr auf mir lastet. Dass ich jetzt frei bin, um demütig täglich mit Ihm den Weg zu gehen, unter Freunden zu leben und von Freunden besucht zu werden.“