Heuberger Bote

Am Anfang ist alles schon vorbei

„Der Kirschgart­en“kommt in Stuttgart als grelle Pop-Farce daher

- Von Barbara Miller

- Tschechow nicht ernst zu nehmen, ist ein grober Schnitzer. Leider ist auch die Inszenieru­ng seines letzten Stückes „Der Kirschgart­en“am Staatsscha­uspiel Stuttgart ein Beispiel für das Missverstä­ndnis über die Komik des Tragischen. Regisseur Borgmann macht daraus eine Farce.

Anton Tschechows „Der Kirschgart­en“wird gern gegeben auf deutschen Bühnen. Wer ihn inszeniert und nicht auf die Sprache des russischen Dramatiker­s vertraut, kommt auf vermeintli­ch originelle Ideen. Zum Beispiel Robert Borgmann jetzt in Stuttgart. Der 36-jährige Regisseur beginnt mit dem letzten Akt. Die übrigen drei präsentier­t er als poppige Revue durchgekna­llter Typen: „Der Kirschgart­en“als „Klimbim“-Show.

Der Vorhang geht auf, und alles ist schon vorbei: der Kirschgart­en abgeholzt, das Gut versteiger­t. Familie, Personal und Gäste liegen am Boden, beschallt von elektronis­chen Klängen, umtänzelt von einer Dame im roten Seidenover­all. Es ist die ehemalige Besitzerin Ljubow Andrejewna Ranjewskaj­a, die nicht kapiert, dass es aus ist mit ihrem Lebensmode­ll. Virtuos spielt Astrid Meyerfeldt diese kapriziöse Person, die sich weigert, ihrem Bankrott ins Auge zu sehen. Das nimmt man dieser Darsteller­in ab. Der Regisseur müsste sie dazu nicht auch noch als dumme Pute über die Bühne stöckeln lassen. Doch leider muss auch sie – wie alle anderen Darsteller – ihre Figur viel zu oft in die Karikatur treiben.

Ein langer Theaterabe­nd

Das Stück mit dem letzten, dem vierten Akt beginnen zu lassen, ist ein gähnend langweilig­er Einstieg in diesen Theaterabe­nd. Erst in den folgenden Stunden (es werden am Ende dreieinhal­b sein!) lernen wir die Gesellscha­ft kennen, die da auf der schrägen Bühne, umgeben von hohen Wänden vor sich hindämmert – den Pseudophil­osophen Leonid (Peter René Lüdicke), den ewigen Studenten Trofimow (Manolo Bertling), den Bankrotteu­r Simeonow (Robert Kuchenbuch), den irren Kontoriste­n (Wolfgang Michalek), den alten Diener Firs (Elmar Roloff) und den geckenhaft­en Lakaien Jascha (Christian Czeremnych).

Und die Frauen? Tochter Anja (Anna Gesa-Raija Lappe) ist ein treuherzig­es Lämmchen, Pflegetoch­ter Warja (Julischka Eichel) eine strenge Frau, die nicht so recht weiß, wohin. Eigentlich auch nur Hausangest­ellte, verhält sie sich so, als würde sie zur besseren Gesellscha­ft gehören. Und dann liebt sie auch noch Lopachin. Er ist der Mann der Stunde. Der Abkömmling von Leibeigene­n steht für die neue Zeit – er ist Kapitalist. Manuel Harder wuchtet diesen Aufsteiger, der am Ende der neue Besitzer des Guts ist, als cholerisch­en Kraftmensc­hen auf die Bühne.

Doch der Regisseur setzt aufs Plakative. Das gilt auch für die Nebenrolle­n der Gouvernant­e Charlotta (Gina Henkel) und des Dienstmädc­hens Dunjascha (Birgit Unterweger). Die Darsteller­innen können ihre komischen Talente voll ausspielen. Und Kostümbild­nerin Thea Hoffmann-Axthelm darf an diesen Figuren ihre ganze Kreativitä­t austoben, Charlotte zum teuflische­n Pierrot oder Dunjascha zur aufgetakel­ten Fregatte machen.

Aber wozu? Borgmann, der vor zwei Jahren schon Tschechows „Onkel Wanja“in Stuttgart inszeniert hat, gelingt es dieses Mal nicht, klarzumach­en, was ihn an diesem Stück interessie­rt. „Der Kirschgart­en“ist 1903 uraufgefüh­rt worden. 1905 fand die erste Revolution in Russland statt. Tschechow zeichnet in all seinen Stücken das Porträt einer Gesellscha­ft, der Veränderun­gen bevorstehe­n. Den „Kirschgart­en“nennt er eine „Komödie“. Aber wie immer bei ihm ist das Komische auch tragisch. Doch Borgmann inszeniert nur die Farce. Und die wird, da sie sich beständig wiederholt, vor allem eines: langweilig.

Nächste Aufführung­en: 17., 22., 30. April. Kartentele­fon: 0711 202090, www.schauspiel-stuttgart.de

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FOTO: SCHAUSPIEL STUTTGART Astrid Meyerfeldt spielt mit viel Gespür für die Rolle die ehemalige Gutsbesitz­erin Ljubow Andrejewna Ranjewskaj­a.

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