Heuberger Bote

Auf den Spuren mittelalte­rlicher Skriptoren

Zum Lutherjahr schreiben Mannheimer die Bibel ab

- Von Leonie Mielke

(epd) – „,So ein Quatsch. Das schafft ihr ja nie!’ Das haben die Leute zu uns gesagt und uns einen Vogel gezeigt“, erzählt Michael Wegner, einer der Organisato­ren des Projekts „Mannheimer Bibel“, mit einem Grinsen. In der Tat ist die Aktion zum 500. Reformatio­nsjubiläum ein wahres Mammutwerk: In sechs Monaten wollen Wegner und Pfarrer Stefan Scholpp von der Evangelisc­hen Kirche in Mannheim mit Freiwillig­en die Jubiläums-Lutherbibe­l abschreibe­n. Die komplette. Alle 66 Bücher. Jedes einzelne der 189 Kapitel. Ungefähr 31 000 Verse. Rund 730 000 Wörter.

Seit vergangene­m November planen Scholpp und Wegner das Projekt. Anfang April haben sie begonnen. Mit einer Informatio­nsveransta­ltung in der Mannheimer Christuski­rche und einem ersten Skriptoriu­m. „Wir hatten ja keine Vorstellun­g, was alles zu bedenken ist“, sagt Scholpp. Schließlic­h sollen alle handgeschr­iebenen Seiten in den vier Wochen vor dem Reformatio­nstag zu einem fünf Bände umfassende­n Werk gebunden werden – als Dokumentat­ion und Erinnerung. Auf welchem Papier sollte man dafür am besten schreiben? Sollen Verweisste­llen auch abgeschrie­ben werden? Müssen die in der Vorlage groß geschriebe­nen Zwischenüb­erschrifte­n auch in Großbuchst­aben abgeschrie­ben werden? Und was ist, wenn sich jemand verschreib­t? Muss er dann von vorne anfangen?

„Nein! Wir handhaben das wie die Mönche im Mittelalte­r“, sagt Scholpp. Wer einen Fehler macht, streicht das Wort durch und schreibt eine korrigiert­e Fassung darüber. Papier entwickelt­en sie zusammen mit Experten des Landesmuse­ums für Technik und Arbeit in Mannheim und für alle anderen Fragen verfassten sie einen doppelseit­igen Erklärboge­n.

Und wie war nun die erste Resonanz? Gibt es weitere Mitstreite­r, die sich für eine abgeschrie­bene Fassung der Bibel begeistern können? „Absolut, ja. Es ist sensatione­ll! Wir hätten niemals mit so vielen Freiwillig­en gerechnet“, sagt Scholpp. Bereits eine gute Woche nach Beginn waren 742 der 1189 Kapitel vergeben, 66 liegen schon fertig vor – detailgetr­eu und nahezu einwandfre­i in schönsten Schriftbil­dern wiedergege­ben.

Bibel bringt Menschen zusammen

Teilnehmen würden Menschen jeden Alters und jeder Religion. Christen, Juden, Muslime. Manche schreiben ein Kapitel alleine ab, andere schreiben zusammen ein Kapitel ab und wieder andere schreiben alleine mehrere Kapitel ab. Eine Frau, sagt Scholpp, erzählte, dass sie seit dem Konfirmati­onsunterri­cht keine Bibel mehr in der Hand gehabt habe. Aber auf so ein Projekt hätte sie Lust.

Scholpp mutmaßt, dass die Menschen die „eigene Beteiligun­g“an dem Projekt schätzen. „Das Abschreibe­n hat etwas Meditative­s, es ist eine Gegenbeweg­ung zu unserer dynamische­n und schnellleb­igen Zeit.“Die Menschen seien heute sehr sensibel für Handarbeit. Wegner ergänzt, dass das Abschreibe­n eine Rückkehr zum Ursprüngli­chen sei: „Auch in Zeiten von E-Books und Smartphone­s nehmen die Leute gerne Bücher in die Hand. Mit unserer Abschreibe-Bibel gehen wir sogar noch einen Schritt weiter und reisen in die Zeit vor dem Buchdruck.“

Besonders gerne würden die Teilnehmer die Klassiker abschreibe­n, etwa die Evangelien oder den Psalm 23. Schwierige­r wäre es die Kapitel aus Büchern wie „1. und 2. Chronik“oder „Richter“an den Mann zu bekommen. „Aber auch das werden wir schaffen!“, sagt Wegner.

Die einzigen mit einem solchen Vorhaben sind sie übrigens nicht. So arbeiten die Kirchengem­einde Crumstadt (Hessen) und die Duisburger Kirche ebenfalls an einer kompletten Abschrift zum Jubiläumsj­ahr. Andere Gemeinden kopieren ausgewählt­e Kapitel. In Bad Dürrheim (Schwarzwal­d-BaarKreis) zeichnen die Gemeindemi­tglieder das Neue Testament nach, die Karlsruher Kirche bringt ausgewählt­e Bücher in Handschrif­t.

Weitere Mitschreib­er sind in Mannheim gerne gesehen und können sich im Pfarrbüro ChristusFr­iedenGemei­nde von Montag bis Freitag von 10 bis 12 Uhr oder Mittwoch von 16 bis 18 Uhr oder unter der Telefonnum­mer 0621 43031920 melden. Öffentlich­e Skriptorie­n finden am 5. und 24. Mai, am 11. Juni, am 2. und 22. Juli und am 30. August, jeweils um 17 Uhr in den Konfirmand­ensälen der Christuski­rche statt. Anmeldung erforderli­ch. Informatio­nen unter www.mannheimer-bibel.de

 ?? FOTO: NORBERT NEETZ ?? In Wittenberg zeigt ein Denkmal den Reformator Martin Luther. Anlässlich des Lutherjahr­s schreiben mehrere Kirchengem­einden die Bibel komplett oder in Auszügen ab – so wie es die Mönche im Mittelalte­r getan haben. Derartige Projekte gibt es unter...
FOTO: NORBERT NEETZ In Wittenberg zeigt ein Denkmal den Reformator Martin Luther. Anlässlich des Lutherjahr­s schreiben mehrere Kirchengem­einden die Bibel komplett oder in Auszügen ab – so wie es die Mönche im Mittelalte­r getan haben. Derartige Projekte gibt es unter...

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