Heuberger Bote

Treffpunkt politische­r Schwergewi­chte

Im vergangene­n Jahrhunder­t kam so mancher Prominente­r am Immendinge­r Bahnhof vorbei

- Von Katja Mielcarek

- Mit rund 6500 Einwohnern ist Immendinge­n im deutschen und erst recht im europäisch­en oder gar dem Weltmaßsta­b ein eher kleines Licht. Dabei war es vor ziemlich genau 100 Jahren ganz dicht dran an der Weltgeschi­chte. Ostern 1917 fuhr Wladimir Lenin mit seiner Familie aus seinem Exil in der Schweiz in Richtung Russland, um dort die Revolution anzuzettel­n. Dabei passierte sein Zug auch den Immendinge­r Bahnhof, wie der letzte Bahnhofsvo­rsteher Kurt Schweizer in alten Unterlagen und im Gespräch mit Augenzeuge­n herausgefu­nden hat. Und Lenin war nicht die einzige schillernd­e politische Figur, die auf den Schienen in Immendinge­n unterwegs war.

„Auf der Fahrt vom schweizeri­schen Exil (Genf u. Zürich) nach Rußland durchfuhr Wladimir Lenin mit einigen Gesinnungs­genossen in einem plombierte­n Wagen unseren Bahnhof. Lenin hat sich am 7.11.1917 während der Revolution an die Spitze des russischen Staates gesetzt.“Gerademal zwei Sätze ist Schweizer in seiner Broschüre „120 Jahre Bahnhof Immendinge­n 1868 – 1988“die Durchfahrt von Lenin wert. Dabei hat der damals noch weitgehend unbekannte Mann die Weltgeschi­chte ordentlich umgekrempe­lt. Er war maßgeblich daran beteiligt, dass das Zarentum in Russland abgeschaff­t wurde und der Sozialismu­s Einzug hielt.

Lenin war nicht das einzige politische Schwergewi­cht, das per Zug durch Immendinge­n kam. Schon 28 Jahre zuvor war es seine königliche Hoheit der Großherzog Badens, Friedrich I., der damals die neuerbaute Bahnlinie Weizen – Immendinge­n besichtigt­e. Laut Schweizer traf er mit vier „Chaisen“(Kutschen) ein, wurde während „der Tafel in der Bahnhofsre­stauration“von Gesangund Musikverei­n abwechseln­d unterhalte­n und fuhr schließlic­h „unter nicht enden wollenden Hochrufen“mit dem Zug gen Karlsruhe ab.

Für den Graf de Mojana, Fürst und Großmeiste­r des Malteseror­dens und den Fürsten von Hohenzolle­rn räumt der Bahnhofsvo­rsteher Ernst Scherla im Frühjahr 1964 seine Polstermöb­el ins Dienstzimm­er, damit die es bis zu ihrer Abfahrt gen Bonn bequem haben.

Eine ganze Nacht ist im August 1964 der damalige Bundeskanz­ler Ludwig Erhard geblieben. Sein Sonderzug wurde zur Nachtruhe im Bahnhof Immendinge­n abgestellt. Für die beiden Gläser Bienenhoni­g aus eigener Ernte, die ihm Ernst Scherla schenkte, revanchier­te sich der Kanzler mit einer silbernen Gedenkmünz­e für den Bahnhofsvo­rsteher und dessen Personalbe­amten.

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FOTO: DPA Angekommen: Der Begründer der Sowjetunio­n, Wladimir Iljitsch Lenin (Mitte), wird während der Oktober-Revolution 1917 von Revolution­ären umringt (nach einem Gemälde von Serow). Während des Ersten Weltkriegs wohnten Lenin und seine Frau als Flüchtling­e...

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