„Das Grün bricht aus den Zweigen“
„Am Freitag ist ja dann Ostern“, erwiderte die junge Dame am vergangenen Wochenende unüberhörbar ihrem Gesprächspartner am Smartphone. Ich musste kurz innehalten, um zu verstehen. Ja, Karfreitag, ein Feiertag, kurz vor Ostern. Dann ist da also auch schon Ostern. Für manche Leute schon. Für immer mehr. Die äußerlichen Anzeichen sind unübersehbar: Schokohäschen, bunte Eier. Es blüht. Es kommt wieder Farbe ins Leben. Und das noch karge Gebüsch im Vorgarten wird farbig gemacht. Das ist Ostern, bei uns. So muss doch Ostern sein? Und es stillt die Sehnsucht. Endlich wieder was Schönes, Heiteres. Das Leben blüht auf.
Der Tristesse und allen Anschlagsmeldungen zum Trotz. Das tut in der Seele gut. Wozu da eigentlich noch Religion, Kreuzigung, Golgatha, Auferstehung, Jesus, Gott? Weil Ostern mehr ist als ein netter vorübergehender Stimmungsaufheller.
Denn wie weit reicht der? Bis morgen, bis übermorgen? Bis zu mir? Und weiter? Bis zur nächsten Passionsund Karfreitagserfahrung?
Karfreitag ist nicht schon Ostern. Aber Karfreitag und Ostern gehören zusammen. Sie markieren einen Weg, auf dem wir – bei uns selbst und um uns herum – Unrecht, Ohnmacht, Hass, Gewalt und Leid begegnen. Ein Weg, auf dem man sich manchmal verzweifelt „Warum?“schreien hört, angesichts dessen, was wir selbst durchmachen, erleben, mitbekommen, sehen, lesen.
Doch der Weg führt weiter. Über das Osterfest am Sonntag hinaus. Über den Frühling, die Schokohäschen und bunten Eier hinaus. Ostern ist das Fest, an dem wir die Entmachtung von Elend, Terror und Tod, von Leid und Ohnmacht feiern. Ja, wirklich!
Gegen allen Augenschein. Und dieses Fest geht weiter. Es weist uns über uns selbst hinaus und lässt einen mit einer verwandelten Haltung der Zuversicht zu aktiven „Protestleuten gegen den Tod“(J. Chr. Blumhardt) werden, der Apathie, der Ohnmacht, dem Leid, dem Hass und der Gewalt zum Trotz. Ostern vermittelt uns die bleibende Gewissheit: „Das Grün bricht aus den Zweigen.“Jens Junginger, geschäftsführender Pfarrer an der Stadtkirche Tuttlingen