„Der Wahlkampf war sehr hart und unfair“
- Can Dündar (Foto: dpa), Ex-Chefredakteur der türkischen Zeitung „Cumhuriyet“, glaubt nicht an eine korrekte Abstimmung. Das sagte er im Interview mit Tobias Schmidt.
Ist es Erdogan gelungen, seine Anhänger hierzulande durch Nazi-Vorwürfe zum Abstimmen zu bringen?
Es haben sich knapp acht Prozent mehr Türken in Deutschland am Referendum beteiligt als an der vorangegangenen Wahl. Das ist nicht viel. Erdogan hat alles versucht, um seine Anhänger zu mobilisieren. Aber wegen seiner Eskalationsstrategie haben auch viele Menschen in Deutschland ihre Stimme abgegeben, um die Verfassungsänderung zu verhindern.
Wird das Referendum fair verlaufen?
Ich habe große Bedenken, dass die Abstimmung zu hundert Prozent korrekt ablaufen wird. Der Wahlkampf war sehr hart und unfair. Die Gegner der Verfassungsänderung wurden bedroht, durften nicht für ihre Position werben. Es ist ganz entscheidend, dass die Abstimmung von Beobachtern aus dem Ausland kontrolliert wird.
Würde die Tür zur EU durch eine Verfassungsänderung zufallen?
Die Rote Linie für die EU wäre die Einführung der Todesstrafe in der Türkei. Erdogan hat noch nicht wirklich klargemacht, ob er die Menschen über die Wiedereinführung der Todesstrafe abstimmen lassen will. Oder ob es nur ein Bluff von ihm gewesen ist, um konservative Wähler zu fangen. Letztlich wird er nicht den Mut haben, die Verbindungen zur EU zu kappen, denn das würde einen massiven wirtschaftlichen Schaden für die Türkei bedeuten.
Kümmern sich die Türken in Deutschland nur noch um die Angelegenheiten in der Türkei?
Das ist eine bedenkliche Entwicklung: Die Türken hier sehen türkisches Fernsehen, lesen türkische Zeitungen, sprechen untereinander türkisch. Es gibt ein gewaltiges Integrationsproblem. Aber das sollte nicht dazu führen, die Möglichkeit für die Türkischstämmigen wieder zurückzunehmen, an türkischen Wahlen teilzunehmen.
Erdogan geht schon lange gegen die Presse vor, Sie gehören zu den Opfern. Hat die Bundesregierung zu lange geschwiegen?
Von deutscher Seite herrschte dazu weitgehend Schweigen. Das änderte sich erst, als mit Deniz ein Journalist mit deutschem Pass betroffen war. Hätten die Bundeskanzlerin und ihre Regierung früher gegen die Inhaftierung von Journalisten in der Türkei protestiert, dann säße Deniz heute vielleicht nicht im Gefängnis.