Erdogan feiert seinen knappen Sieg
Türkischer Staatspräsident weist Kritik am Referendum scharf zurück – EU uneins
- Nach seinem umstrittenen Sieg beim Verfassungsreferendum in der Türkei hat Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan jede Kritik internationaler Wahlbeobachter scharf zurückgewiesen. „Dieses Land hat die demokratischsten Wahlen durchgeführt, wie sie kein einziges Land im Westen je erlebt hat“, betonte er am Montagabend vor dem Präsidentenpalast in Ankara. Zugleich bekräftigte er vor jubelnden Anhängern seine Bereitschaft, die Todesstrafe wieder einzuführen. Erdogan hat die Volksabstimmung am Sonntag nach dem vorläufigen Endergebnis mit 51,4 Prozent der Stimmen gewonnen. Die Wahlbeteiligung lag demnach bei mehr als 85 Prozent.
Wahlbeobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) bemängelten in einem am Montag in Ankara vorgestellten Bericht, die Volksabstimmung habe in mehreren Punkten nicht internationalen Standards entsprochen. Unter dem Ausnahmezustand seien Grundfreiheiten eingeschränkt gewesen, „die für einen demokratischen Prozess wesentlich sind“. Die türkische Opposition, die eine Ein-Mann-Herrschaft Erdogans befürchtet, forderte wegen zahlreicher Unregelmäßigkeiten eine Annullierung der Abstimmung. In Istanbul kam es am Montagabend zu Protesten gegen Erdogan. Im Stadtteil Besiktas versammelten sich rund 2000 Demonstranten.
Auf Kritik stieß in Europa die Ankündigung Erdogans, er wolle einer Wiedereinführung der Todesstrafe den Weg ebnen – notfalls über ein weiteres Referendum. Der Staatschef betonte dazu, ihm sei es gleichgültig, was westliche Staaten dazu meinten. Die EU hatte angekündigt, im Falle der Einführung der Todesstrafe den Beitrittsprozess der Türkei zu beenden. Erdogan brachte seinerseits ein Referendum über einen Abbruch des Beitrittsprozesses durch die Türkei selbst ins Spiel.
Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) wies Forderungen nach einem Abbruch der EU-Beitrittsverhandlungen mit Ankara zurück. Auch einen von der Linken ins Gespräch gebrachten Ausschluss der Türkei aus der Nato lehnte er bei einem Besuch in Albanien ab. Auch Kanzlerin Angela Merkel (CDU) plädierte dafür, den Gesprächsfaden mit Ankara nicht abreißen zu lassen. „Der knappe Ausgang der Abstimmung zeigt, wie tief die türkische Gesellschaft gespalten ist“, betonten Merkel und Gabriel in einer gemeinsamen Erklärung. Der stellvertretende CSU-Chef und Vorsitzende der konservativen EVP-Fraktion im Europaparlament, Manfred Weber, sagte im ZDF, die Beitrittsperspektive für die Türkei sei eine „Lebenslüge“, die vom Tisch genommen werden müsse. BadenWürttembergs Integrationsminister Manfred Lucha (Grüne) betonte mit Blick auf die vielen türkischstämmigen Menschen im Südwesten die Notwendigkeit, sich für den gesellschaftlichen Zusammenhalt einzusetzen. Besonnenheit und Kommunikation seien das Gebot der Stunde.
Den nach dem Putschversuch vom 15. Juli 2016 verhängten Ausnahmezustand wollten der nationale Sicherheitsrat unter Vorsitz Erdogans und das Kabinett am Montagabend noch einmal verlängern.