Hilfe aus Russland für Online-Hetzer
Im Netzwerk VK.com breitet sich neonazistischer Hass aus – Die Behörden sind machtlos
- Das Handy-Video zeigt Kinder, Frauen und Männer in Rettungswesten, die in die Hände klatschen und singen. Ihr Schlauchboot hält Kurs auf ein Stück Land am Horizont. Die Gruppe „Anonymous. Kollektiv“verbreitet die Aufnahme im Internet unter dem Titel: „Traumatisiert? Mittelmeer-Flüchtlinge feiern feuchtfröhliche Party im Schlepperboot“.
„Diese widerlichen Ölaugen. Wo sind die Wolfsrudel, wenn man sie mal braucht?“, kommentiert ein User mit dem Namen Phil Latzio. Als die Nutzerin Lina Sommer nachfragt, klärt er sie auf. „Wolfsrudel = mehrere zusammen operierende U-Boote der Kriegsmarine der Wehrmacht.“
Der rassistische Hetzer hat in seinem Profil Honolulu als Wohnort eingetragen, seine anderen Äußerungen lassen jedoch darauf schließen, dass er sich im Osten Deutschlands befinden könnte. Laut Gesetz müsste Phil Latzio wegen Volksverhetzung strafrechtlich verfolgt werden. Nur: Solange die deutsche Justiz die wahre Identität des Mannes nicht kennt, der die russische Webseite VK.com benutzt, ist er praktisch unangreifbar.
Anstacheln zur Gewalt
VK.com, in Russland bekannt als „V Kontakte“, nennt sich selbst das größte soziale Netzwerk Europas. Die Netz-Analysten von SimilarWeb zählen die Plattform mit 410 Millionen Nutzern zu den fünf meistbesuchten Webseiten der Welt. 2006 gegründet, gehört es heute mehrheitlich dem Milliardär Alischer Usmanow, der den russischen Präsidenten Wladimir Putin in Sportfragen berät.
„VK hilft, schnell und komfortabel zu kommunizieren“, liest man auf der Webseite des Unternehmens aus St. Petersburg. Man braucht nur wenige Minuten Zeit, um auf dem Portal nach einer Anmeldung Fotos hochzuladen und Kommentare zu hinterlassen. Diesen Komfort nutzen gerne auch die deutschen Rechtsextremisten. Sie verherrlichen im Netzwerk die NS-Zeit und stacheln offen zu Gewalttaten gegen „Untermenschen“auf.
So erklärt der User Peter Rainer, angeblich aus Berlin, seinen 400 VK„Freunden“, die Wehrmacht sei 1939 in Polen einmarschiert, erst nachdem „die Juden“Deutschland den Krieg erklärt hätten. Heinz Grubert aus Berlin (860 „Freunde“) wartet auf „einen Angriff tausender Muslime auf unser Volk“, um dann Deutschland „von diesem verbrecherischen System zu befreien“. „Wir, das Pack, die Nazis, werden sie (die Politiker – d. Red.) ewig an das erinnern, was sie uns angetan haben“, stimmt ihm ein anderer Rechtsradikaler zu.
„Weil die rechte Hasspropaganda auf Facebook häufiger gelöscht wird als früher, ist VK.com seit 2014 zum Netzwerk der Wahl für die deutschen Nazis geworden“, sagt der Rechtsextremismus-Forscher Johannes Baldauf von der Amadeu Antonio Stiftung in Berlin. „VK.com interessiert sich nicht für extremistische Inhalte, es sei denn sie richten sich gegen Putin. Darum haben die Nazis dort ihre Ruhe: Sie leben ihre Gesinnung aus, mobilisieren ihre Anhänger, vernetzen sich mit russischen Extremisten und stilisieren die Plattform zum ,Hort der Meinungsfreiheit‘“. Dabei untersagen die Nutzungsregeln von VK.com „extremistische Inhalte“und „Information, die zum Rassenhass beiträgt“. Mehrere Nachfragen der „Schwäbischen Zeitung“ließ das Portal unbeantwortet.
Laut Baldauf ist VK.com ein „blinder Fleck in der Wahrnehmung von Rechtsextremismus“im digitalen Raum. Die Politik interessiere sich nicht dafür, weil das Netzwerk noch zu unbekannt sei. „Ich vermute, dass auch die Gerichte wie Staatsanwaltschaften heute andere Probleme als dringlicher sehen als ein im Netz zur Schau gestelltes Hakenkreuz“, urteilt der Experte.
Dass sich die deutschen Nutzer einer ausländischen Online-Plattform strafbar machen können, hat der Bundesgerichtshof in einem Urteil von 2000 bestätigt: Es kommt darauf an, dass die Äußerungen in Deutschland abrufbar sind und einen Tatbestand erfüllen. Auf die Volksverhetzung steht eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren.
Keine Verfahren im Südwesten
Die „Schwäbische Zeitung“befragte sechs Staatsanwaltschaften in Baden-Württemberg, ob sie wegen der Nazipropaganda auf VK.com ermittelt haben. Man kenne das Problem, „entsprechende Verfahren“seien jedoch „nicht anhängig geworden“, teilte die Staatsanwaltschaft Freiburg mit. Ähnlich äußerten sich die Justizbehörden in Ravensburg und Tübingen.
Das Bundesamt für Verfassungsschutz kann mangels „belastbaren Erkenntnissen“nicht abschätzen, wie viele deutsche Nazis von Facebook ins „digitale Exil“nach Russland auswandern. Die Verfassungsschützer im Land sehen heute auch gar keine Möglichkeit, „unmittelbar auf die Betreiber einer solchen Internetplattform Einfluss zu nehmen“. Ähnlich äußert sich das Bundesjustizministerium, das gerade einen Gesetzesentwurf gegen Hass im Internet vorantreibt. Man wisse nicht einmal, wie viele VK-Nutzer es in der Bundesrepublik insgesamt gebe, räumt ein Sprecher ein.
Dabei ist dieser Aspekt entscheidend für die Anwendbarkeit des geplanten Gesetzes. Danach sollen die Betreiber von sozialen Netzwerken unter anderem verpflichtet werden, strafbare Inhalte zu entfernen – aber nur, wenn sie in Deutschland mindestens zwei Millionen Nutzer haben.
Ohnehin haben jedoch Experten Zweifel, ob man durch Androhung von Bußgeldern bis zu 50 Millionen Euro die Extremisten auf VK.com verstummen lassen könnte. „Man müsste dazu die Herausgabe von deren Nutzerdaten erreichen, was nicht einfach ist. Wichtiger ist es darum, neben Verurteilungen von straffälligen Nutzern den anderen Usern die Argumente gegen die Hetzer zu liefern“, sagt Fabian Virchow, der an der Hochschule Düsseldorf im Bereich Neonazismus forscht.