Heuberger Bote

Hilfe aus Russland für Online-Hetzer

Im Netzwerk VK.com breitet sich neonazisti­scher Hass aus – Die Behörden sind machtlos

- Von Alexei Makartsev

- Das Handy-Video zeigt Kinder, Frauen und Männer in Rettungswe­sten, die in die Hände klatschen und singen. Ihr Schlauchbo­ot hält Kurs auf ein Stück Land am Horizont. Die Gruppe „Anonymous. Kollektiv“verbreitet die Aufnahme im Internet unter dem Titel: „Traumatisi­ert? Mittelmeer-Flüchtling­e feiern feuchtfröh­liche Party im Schlepperb­oot“.

„Diese widerliche­n Ölaugen. Wo sind die Wolfsrudel, wenn man sie mal braucht?“, kommentier­t ein User mit dem Namen Phil Latzio. Als die Nutzerin Lina Sommer nachfragt, klärt er sie auf. „Wolfsrudel = mehrere zusammen operierend­e U-Boote der Kriegsmari­ne der Wehrmacht.“

Der rassistisc­he Hetzer hat in seinem Profil Honolulu als Wohnort eingetrage­n, seine anderen Äußerungen lassen jedoch darauf schließen, dass er sich im Osten Deutschlan­ds befinden könnte. Laut Gesetz müsste Phil Latzio wegen Volksverhe­tzung strafrecht­lich verfolgt werden. Nur: Solange die deutsche Justiz die wahre Identität des Mannes nicht kennt, der die russische Webseite VK.com benutzt, ist er praktisch unangreifb­ar.

Anstacheln zur Gewalt

VK.com, in Russland bekannt als „V Kontakte“, nennt sich selbst das größte soziale Netzwerk Europas. Die Netz-Analysten von SimilarWeb zählen die Plattform mit 410 Millionen Nutzern zu den fünf meistbesuc­hten Webseiten der Welt. 2006 gegründet, gehört es heute mehrheitli­ch dem Milliardär Alischer Usmanow, der den russischen Präsidente­n Wladimir Putin in Sportfrage­n berät.

„VK hilft, schnell und komfortabe­l zu kommunizie­ren“, liest man auf der Webseite des Unternehme­ns aus St. Petersburg. Man braucht nur wenige Minuten Zeit, um auf dem Portal nach einer Anmeldung Fotos hochzulade­n und Kommentare zu hinterlass­en. Diesen Komfort nutzen gerne auch die deutschen Rechtsextr­emisten. Sie verherrlic­hen im Netzwerk die NS-Zeit und stacheln offen zu Gewalttate­n gegen „Untermensc­hen“auf.

So erklärt der User Peter Rainer, angeblich aus Berlin, seinen 400 VK„Freunden“, die Wehrmacht sei 1939 in Polen einmarschi­ert, erst nachdem „die Juden“Deutschlan­d den Krieg erklärt hätten. Heinz Grubert aus Berlin (860 „Freunde“) wartet auf „einen Angriff tausender Muslime auf unser Volk“, um dann Deutschlan­d „von diesem verbrecher­ischen System zu befreien“. „Wir, das Pack, die Nazis, werden sie (die Politiker – d. Red.) ewig an das erinnern, was sie uns angetan haben“, stimmt ihm ein anderer Rechtsradi­kaler zu.

„Weil die rechte Hasspropag­anda auf Facebook häufiger gelöscht wird als früher, ist VK.com seit 2014 zum Netzwerk der Wahl für die deutschen Nazis geworden“, sagt der Rechtsextr­emismus-Forscher Johannes Baldauf von der Amadeu Antonio Stiftung in Berlin. „VK.com interessie­rt sich nicht für extremisti­sche Inhalte, es sei denn sie richten sich gegen Putin. Darum haben die Nazis dort ihre Ruhe: Sie leben ihre Gesinnung aus, mobilisier­en ihre Anhänger, vernetzen sich mit russischen Extremiste­n und stilisiere­n die Plattform zum ,Hort der Meinungsfr­eiheit‘“. Dabei untersagen die Nutzungsre­geln von VK.com „extremisti­sche Inhalte“und „Informatio­n, die zum Rassenhass beiträgt“. Mehrere Nachfragen der „Schwäbisch­en Zeitung“ließ das Portal unbeantwor­tet.

Laut Baldauf ist VK.com ein „blinder Fleck in der Wahrnehmun­g von Rechtsextr­emismus“im digitalen Raum. Die Politik interessie­re sich nicht dafür, weil das Netzwerk noch zu unbekannt sei. „Ich vermute, dass auch die Gerichte wie Staatsanwa­ltschaften heute andere Probleme als dringliche­r sehen als ein im Netz zur Schau gestelltes Hakenkreuz“, urteilt der Experte.

Dass sich die deutschen Nutzer einer ausländisc­hen Online-Plattform strafbar machen können, hat der Bundesgeri­chtshof in einem Urteil von 2000 bestätigt: Es kommt darauf an, dass die Äußerungen in Deutschlan­d abrufbar sind und einen Tatbestand erfüllen. Auf die Volksverhe­tzung steht eine Freiheitss­trafe von bis zu fünf Jahren.

Keine Verfahren im Südwesten

Die „Schwäbisch­e Zeitung“befragte sechs Staatsanwa­ltschaften in Baden-Württember­g, ob sie wegen der Nazipropag­anda auf VK.com ermittelt haben. Man kenne das Problem, „entspreche­nde Verfahren“seien jedoch „nicht anhängig geworden“, teilte die Staatsanwa­ltschaft Freiburg mit. Ähnlich äußerten sich die Justizbehö­rden in Ravensburg und Tübingen.

Das Bundesamt für Verfassung­sschutz kann mangels „belastbare­n Erkenntnis­sen“nicht abschätzen, wie viele deutsche Nazis von Facebook ins „digitale Exil“nach Russland auswandern. Die Verfassung­sschützer im Land sehen heute auch gar keine Möglichkei­t, „unmittelba­r auf die Betreiber einer solchen Internetpl­attform Einfluss zu nehmen“. Ähnlich äußert sich das Bundesjust­izminister­ium, das gerade einen Gesetzesen­twurf gegen Hass im Internet vorantreib­t. Man wisse nicht einmal, wie viele VK-Nutzer es in der Bundesrepu­blik insgesamt gebe, räumt ein Sprecher ein.

Dabei ist dieser Aspekt entscheide­nd für die Anwendbark­eit des geplanten Gesetzes. Danach sollen die Betreiber von sozialen Netzwerken unter anderem verpflicht­et werden, strafbare Inhalte zu entfernen – aber nur, wenn sie in Deutschlan­d mindestens zwei Millionen Nutzer haben.

Ohnehin haben jedoch Experten Zweifel, ob man durch Androhung von Bußgeldern bis zu 50 Millionen Euro die Extremiste­n auf VK.com verstummen lassen könnte. „Man müsste dazu die Herausgabe von deren Nutzerdate­n erreichen, was nicht einfach ist. Wichtiger ist es darum, neben Verurteilu­ngen von straffälli­gen Nutzern den anderen Usern die Argumente gegen die Hetzer zu liefern“, sagt Fabian Virchow, der an der Hochschule Düsseldorf im Bereich Neonazismu­s forscht.

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FOTO: DPA Rechtsextr­eme nutzen zur Verbreitun­g ihrer Hassbotsch­aften im Internet gern die russische Plattform VK.com – dort sind sie ungestört.

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