Gebündelte Energie
Kirill Petrenko und das Symphonieorchester Vorarlberg begeistern mit Mahlers Fünfter
- Kirill Petrenko hält, was er verspricht, auch wenn die internationalen Verpflichtungen kaum Luft lassen. Der russische Dirigent, der seit seinem 18. Lebensjahr in Vorarlberg lebte und von dort aus seine Weltkarriere startete, hatte dem Symphonieorchester Vorarlberg im Jahr 2008 versprochen, alle neun vollendeten Symphonien von Gustav Mahler aufzuführen. Die ersten vier und die riesige sechste Symphonie standen bereits auf dem Programm, mit der fünften bescherten der drahtige Mittvierziger und das hochmotivierte Orchester dem Publikum ein besonderes Ostergeschenk. Im beengten Raum des neuen Montforthauses in Feldkirch und im Bregenzer Festspielhaus ließen sich die Musiker anstecken von Petrenkos ebenso leidenschaftlicher wie präziser Körpersprache.
Die biografischen Angaben im Programmheft beschränken sich bei Petrenko auf zwei Punkte: Generalmusikdirektor der Bayerischen Staatsoper München und designierter Chefdirigent der Berliner Philharmoniker, Gegenwart und Zukunft. Was zählt, ist seine ungeheure Präsenz, seine bildhafte Präzision bei jedem kleinen Einsatz im Gemenge des großen Orchesters. Als Operndirigent, ob in München, Wien, New York oder Bayreuth, liebt er die Sänger: In Mahlers „Liedern eines fahrenden Gesellen“zu Beginn führt er das Orchester, als sei es ein Kammermusikensemble, holt er mit den wunderbaren Holzbläsern den Gesang der Vögel hinein in den großen Saal. Mit ihnen erzeugt Petrenko jene Farben, die dem Bariton Daniel Schmutzhard besonders in höheren Lagen leider fehlen. Dafür punktet der Sänger mit großer Natürlichkeit und Textdeutlichkeit, wenn er sich vom feinen Wispern der Streicher tragen lässt und schöne Dialoge mit den Bläsern entstehen. Der Trauermarsch im letzten Lied schafft die überzeugende Verbindung zur fünften Symphonie und der sie eröffnenden Trompetenfanfare.
Präzise Zeichengebung
Was Petrenko hier mit seiner Zeichengebung, seiner gebündelten Energie und Begeisterung aus der kontrastreichen Symphonie herausholt, erstaunt immer wieder. Da zeichnet er zärtlichste Figuren, entwickeln rauschhafte Steigerungen und Klangexplosionen ihre Wucht, spielen die Klarinetten und anderen Holzbläser so natürlich und musikantisch, wie es Mahler in seiner böhmischen Heimat gehört haben mag. Großartiges und Brüchiges, Triumph und Zerrissenheit, Walzer, Trauermarsch und Polka liegen eng beieinander. Petrenko lässt die Vorarlberger ebenso frech wie elegant aufspielen.
Inmitten all dieser tönenden Energie entwickelt sich das berühmte Adagietto auch fern von Viscontis Venedig-Bildern als großer, fließender Atemstrom, entschlackt und trotzdem schicksalhaft in seiner Dichte. Wie das Finale mit den spritzig angestochenen Streicherfiguren, dem Wirbel der Bläser und Schlagwerker und der Raserei der letzten Takte durchsichtig wie Kammermusik klingt, bleibt Petrenkos Geheimnis.