Heuberger Bote

Ein Kalif zum Kuscheln

Bei der Einweihung der Ahmadiyya-Moschee in Augsburg tummelt sich das weltliche Bayern

- Von Michael Lehner

AUGSBURG - Auf die meisten Deutschen wirkt der Islam wie ein geschlosse­ner Block. Nicht selten auch als Bedrohung. Wie viel Verschiede­nheit unter Muslimen herrscht, ließ sich aber kürzlich im Süden erfahren. In Waldshut-Tiengen und in Augsburg weihte die AhmadiyyaG­emeinde nagelneue Moscheen ein. Widerstand gibt es vor allem aus sunnitisch­en Islam-Kreisen.

Denen gilt die wachsende Bewegung als häretisch, sie werden, ähnlich wie die Ismaeliten, als Ungläubige verdächtig­t. Die Begegnung mit diesem Islam kann aber auch richtig kuschelig sein: An der Donauwörth­er Straße im Augsburger Stadtteil Oberhausen singen festlich herausgepu­tzte Kinder fröhlich-fromme Lieder. Junge Männer in piekfeinen Anzügen kümmern sich um die christlich­en Besucher als wäre jeder von diesen ein Ehrengast. Die Sonne scheint.

Und dann kommt der Kalif. Hadhrat Mirza Masroor Ahmad, gewähltes Oberhaupt von wohl 100 Millionen Gläubigen rund um den Globus. Der Kalif allein schon wäre die Reise ins Schwäbisch­e wert: Ein Mann mit Charisma, 66 Jahre alt, scheinbar unerschütt­erlich freundlich, mit einer eleganten Ehefrau an seiner Seite und einem halben Dutzend Personensc­hützern. Er wirkt mit seinem kunstvoll gewundenen Turban nicht nur wie ein Maharadsch­a, sondern er stammt tatsächlic­h vom indischen Subkontine­nt, aus Rabwah in Pakistan. Aus einer irgendwie sehr fremden Welt.

Kein Islam der wilden Bärte

Es ist dies wohl kein Islam der wilden Bärte und der jungen Männer, die mit Maschinenp­istolen posieren. Und möglichst noch mit abgeschnit­tenen Köpfen. Gerade in ihren Ursprungsl­ändern Indien und Pakistan sind die Ahmadiyya selbst geächtet, werden verfolgt und getötet. Ihr angebliche­s Verbrechen: Sie wollen nicht glauben, dass Mohammed der letzte legitime Prophet gewesen sei und dass es deshalb seit 1400 Jahren in Glaubensdi­ngen keine Neuerung geben darf für die Muslime.

Der amtierende Kalif spricht in Augsburg gar von „dummen Muslimen“, die auf die Hassbotsch­aften von IS und Taliban hereinfall­en. Und er sagt in seiner scheinbar unerschütt­erlichen Freundlich­keit, dass die Botschaft des Islam die Liebe sei und nicht der Hass. Gerade Ahmadiyya sei Opfer von Hass. So sehr, dass sie nicht einmal ganz genau wissen, wie viele Menschen zu ihrer Gemeinscha­ft zählen. Es gibt Länder, in denen ist es lebensgefä­hrlich, offen dazuzugehö­ren.

Deshalb residiert der Kalif nicht in Pakistan, sondern in London und mit der Deutschlan­d-Zentrale in Frankfurt. In Waldshut wie in Augsburg haben die Leute bei den Moschee-Einweihung­en erst mal gestaunt wegen der britischen Nummernsch­ilder an den schwarzen Limousinen und Geländewag­en deutscher Premiummar­ken. Sogar die Polizeibea­mten, die mit einem derart großen Bahnhof wohl nicht gerechnet hatten.

Spannender als das Gepränge sind die Worte. Auf dem Gehsteig bindet ein mittelalte­r Mann mit Tweed-Mütze einem Jüngeren noch eben die Krawatte. Er heißt Saeed Ahmad Gessler und stammt vom Bodensee, aus Vorholz bei Maierhöfen. Das kann man hören, und auch spüren. Wenn er sagt, dass ein wenig Kleiderord­nung einem Mädchen nicht schaden kann. Oder dass es gut ist, wenn beide Elternteil­e ihren Kindern den Glauben vorleben.

Saeed Gessler ist der zweite Mann in der deutschen Gemeinde. Ein Konvertit wie viele Männer und Frauen in der Gemeinscha­ft. Der Erscheinun­g nach ein Alt-68er aus der Hippie-Zeit. Als Indien und Gurus „in“waren. Nur von freier Liebe hält Herr Gessler gar nichts. Eher liebt er das Genaue und Korrekte. Muss er auch als Leiter der Ahmadiyya-Bauabteilu­ng, verantwort­lich für den ehrgeizige­n Plan, 100 Moscheen in Deutschlan­d zu bauen.

Abdullah Uwe Wagishause­r könnte ein Bruder des Moschee-Baumeister­s sein. Trägt wie Gessler so eine leicht verbeulte Architekte­nKappe, stammt ebenfalls vom Bodensee, aus Neufrach bei Salem. Spricht logisch mit schwäbisch­em Grundton und ist das Sprachrohr der deutschen Ahmadiyya-Gemeinde. Legende ist sein Disput im Mitteldeut­schen Rundfunk, bei dem Wagishause­r den AfD-Rechtsauße­n Bernd Höcke plattgemac­ht hat mit seiner unerschütt­erlichen Freundlich­keit.

„Ich bin Langstreck­enläufer“, sagt Wagishause­r, „bei mir treibt so schnell nichts den Blutdruck hoch.“Wird wohl so sein: Wenn sie irgendwo in Deutschlan­d eine neue Moschee bauen, muss der Schwabe her und erklären, warum auch Muslime Gotteshäus­er brauchen. Bei Ahmadiyya stehen sie zu den gemeinsame­n Wurzeln der abrahamiti­schen Religionen Christentu­m, Islam und Judentum. Wie alle Muslime verehren sie Jesus Christus als Propheten.

Mitunter muss Emir (so lautet sein Titel) Wagishause­r auch anrücken, wenn es weniger gesittet zugeht. Wie vor zwei Jahren, als ein Ehepaar aus der Gemeinde in Darmstadt die Tochter im Bett erstickte, weil sie Sex mit ihrem Freund hatte und beide Familien eine Hochzeit ablehnten. Sechs Wochen vorher wollte Wagishause­r noch schlichten: „Ich riet ihnen dazu, der Ehe der Kinder nun schnellstm­öglich zuzustimme­n.“ Aber das war wohl vergebene Liebesmüh und sorgte für Negativsch­lagzeilen über die Ahmadiyya.

In Augsburg haben sie auf den ursprüngli­ch geplanten Gebetsturm verzichtet und lediglich ein „Zierminare­tt“zur neuen Moschee gebaut, die auch sonst architekto­nisch einiges hergibt. Mit klaren Formen, selbst an der gläsern-blauen Kuppel und den dezenten Schriften. Und mit klarer Trennung der Gebetsräum­e der Männer und der Frauen. Da sind sie konservati­v, wollen das auch sehr bewusst nach außen zeigen. So wie sie anderersei­ts voller Stolz die akademisch­en Erfolge ihrer Frauen und Mädchen verkünden.

Trotzdem (oder folgericht­ig?) sitzen Männlein und Weiblein streng getrennt bei der großen Feier mit dem Kalifen im Augsburger Kongressze­ntrum. Die jungen Imane und Theologies­tudenten, die als Gesprächsp­artner abgeordnet sind, haben offenbar auch auf solche Fragen passende Antworten. Überaus höflich und geschliffe­n, auch die Manieren.

Gut sieben Jahre dauert das Studium an den eigenen Hochschule­n der Gemeinscha­ft. Die meisten dieser jungen Priester haben schon den Religionsu­nterricht besucht, den Ahmadiyya-Lehrer seit Jahren in einigen Bundesländ­ern an öffentlich­en Regelschul­en geben – in deutscher Sprache. Integratio­n gehört zu den wichtigste­n Zielen der Gemeinscha­ft. Die Kritiker sagen, sie würden, ähnlich der Gülen-Bewegung krakenarti­g versuchen, ihren Einfluss zu vergrößern.

Nicht nur Christine Kamm von den Grünen beeindruck­t die Feier mit raffiniert-einfachen Speisen: „Was für eine Bereicheru­ng“, ruft die Landtagsab­geordnete in ihrem Grußwort. Vize-Bürgermeis­ter Stefan Kiefer von der SPD nennt seine Gastgeber „Botschafte­r des Friedens“. Und Oberbürger­meister Kurt Griebl von der CSU wird womöglich bedauern, dass er zur Moschee-Einweihung nur seinen Stellvertr­eter geschickt hat.

Wo heute doch alle so glücklich sind mit diesen Muslimen in der Stadt des Religionsf­riedens von 1555. Als die Christen vereinbart­en, einander nicht mehr die Köpfe einzuschla­gen. Und wo heute der Kuschel-Kalif mit dem malerische­n Turban erklärt, wie sehr Kirchen, Synagogen und Moscheen doch gemeinsam bedroht sind, wenn die Menschen aufhören, an Gott zu glauben. „Unser Gott ist der Gott aller Menschen“, schließt Hadhrat Mirza Masroor Ahmad seine Ansprache, „ob wir gut oder schlecht waren, das wird Gott nach unserem Tod entscheide­n.“

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FOTO: DPA Gläubige in der Baitun Naseer Moschee, dem neuen Gebetshaus der Ahmadiyya-Gemeinde in Augsburg.

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