Anti-Trump
Der Demokrat Jon Ossoff, dessen Name noch vor Kurzem kaum jemand kannte, lässt bei einer Nachwahl in Georgia im eher konservativen Speckgürtel am Rande der Südstaatenmetropole Atlanta einen Paukenschlag dröhnen. Bei einem Duell, das drei Monate nach dem Amtsantritt Donald Trumps als Stimmungstest galt, hätte Jon Ossoff um ein Haar die absolute Mehrheit und damit auf Anhieb einen frei gewordenen Sitz im Abgeordnetenhaus gewonnen. Am Dienstag (Ortszeit) holte er 48 Prozent der Stimmen, womit er seine härteste Konkurrentin, die republikanische Politikveteranin Karen Handel, förmlich deklassierte. Handel kam nur auf 20 Prozent. Nun muss eine Stichwahl im Juni entscheiden, wer in den US-Kongress einzieht.
Ossoff sei eher Weltbürger als Volkstribun, monieren seine Kritiker. Schon im Alter von 17 Jahren machte er ein Praktikum in einem Abgeordnetenbüro, bei John Lewis, einer Legende der Bürgerrechtsbewegung. Später studierte er an der renommierten Georgetown University Internationale Beziehungen, dann drehte er Dokumentarfilme über Korruption und Machtmissbrauch in Afrika.
In Wahlkampf-Interviews klangen seine sorgfältig abgezirkelten Sätze bisweilen, als hätte er sie auswendig gelernt. Was am ehesten hängen blieb, ist ein Fernsehspot, in dem er Trump die Leviten las. „Er blamiert uns nicht nur auf der Weltbühne, er könnte auch einen unnötigen Krieg vom Zaun brechen“, sagte der 30-Jährige über den Mann im Weißen Haus.
Gut möglich, dass sich die Republikaner, die im ersten Wahlgang mit mehreren Bewerbern ins Rennen gingen, im Finale im Juni geschlossen um ihre Favoritin scharen. Beeindrucken lässt sich der Newcomer von einem solchen Szenario jedenfalls nicht. „Wir haben die Erwartungen zertrümmert, wir sind bereit für einen Kampf, den wir gewinnen werden“, rief er seinen jubelnden Anhängern nach seinem Paukenschlag zu.
Frank Herrmann