Der Tod als Privileg
„Stille Reserven“: Verstörender Science-Fiction-Film über Ausbeutung nach dem Tod
In nicht allzu ferner Zukunft, so skizziert es Valentin Hitz’ (Drehbuch und Regie) bedrückender Science-Fiction-Film „Stille Reserven“, müssen wir entscheiden: Was ist uns Selbstbestimmung wert? Und wie wehrhaft sind wir gegenüber dem Kapital? Es ist eine düstere Vision, die Hitz entwirft. Und es sind existenzielle Fragen, die er aufwirft. Fragen, denen die Zuschauer auch nach dem letzten Bild noch nachhängen.
„Vincent Baumann, Assekuranzagent im Außendienst, Todesversicherung.“So weist sich jemand aus, für den es bislang nur nach oben ging. Baumann, mit feinsinniger Akkuratesse gespielt von Clemens Schick, ist ein Karrierist, der jeden Auftrag zum Abschluss gebracht hat. Sein Leben widmet er der Selbstoptimierung, der Selbstbeherrschung. Todesversicherungen verkauft er mit Sätzen wie: „Die meisten Menschen verdrängen den Gedanken an den Tod, dabei bedeutet Tod doch Frieden.“
Wer keine Todesversicherung abschließt, läuft Gefahr, keinen Frieden zu finden. Stattdessen wird der Körper ausgebeutet, um bestehende Schulden auszugleichen: als Ersatzteillager, als Leihmutter, als Speichermedium.
Natürlich hat Baumann eine Gegenspielerin. Lisa Sokulowa (Lena Lauzemis) ist im Untergrund aktiv. Mit anderen Aktivisten will sie das System stürzen, in die Geriatrie eindringen und sie lahmlegen. Jene, die komatös vor sich hin vegetieren, sollen erlöst werden. Ausgerechnet ihr Vater, der reiche Unternehmer Wladimir Sokulowa, beschert Baumann einen Karriereknick. Selbst der Vorzeige-Agent schließt diesen Fall nicht ab. Baumann wird degradiert. Über Lisa versucht er, an ihren widerspenstigen Vater heranzukommen. Seine Beherrschung beginnt zu bröckeln, . Doch auch Sokulowa benutzt ihn.
Hitz inszeniert diese Dystopie in einer kühlen Ästhetik. Zu Beginn werden die Zuschauer gefangen genommen: von der faszinierend-verstörenden Geschichte, von Schicks Spiel, von Lauzemis’ unbändiger Leidenschaft. Und von der Frage, wie weit die Ökonomisierung gehen darf.
Diese Spannung verliert sich später jedoch. Die Handlung gerät wenig überraschend. Ebenso, dass Baumann der leidenschaftlichen Aktivistin verfällt. Ihr Spiel aus Nähe und Distanz ist vorhersehbar. Wichtige Fragen wirft „Stille Reserven“dennoch auf. Beantworten muss sie jeder Zuschauer für sich.