Heuberger Bote

Der Tod als Privileg

„Stille Reserven“: Verstörend­er Science-Fiction-Film über Ausbeutung nach dem Tod

- Von Michel Winde

In nicht allzu ferner Zukunft, so skizziert es Valentin Hitz’ (Drehbuch und Regie) bedrückend­er Science-Fiction-Film „Stille Reserven“, müssen wir entscheide­n: Was ist uns Selbstbest­immung wert? Und wie wehrhaft sind wir gegenüber dem Kapital? Es ist eine düstere Vision, die Hitz entwirft. Und es sind existenzie­lle Fragen, die er aufwirft. Fragen, denen die Zuschauer auch nach dem letzten Bild noch nachhängen.

„Vincent Baumann, Assekuranz­agent im Außendiens­t, Todesversi­cherung.“So weist sich jemand aus, für den es bislang nur nach oben ging. Baumann, mit feinsinnig­er Akkuratess­e gespielt von Clemens Schick, ist ein Karrierist, der jeden Auftrag zum Abschluss gebracht hat. Sein Leben widmet er der Selbstopti­mierung, der Selbstbehe­rrschung. Todesversi­cherungen verkauft er mit Sätzen wie: „Die meisten Menschen verdrängen den Gedanken an den Tod, dabei bedeutet Tod doch Frieden.“

Wer keine Todesversi­cherung abschließt, läuft Gefahr, keinen Frieden zu finden. Stattdesse­n wird der Körper ausgebeute­t, um bestehende Schulden auszugleic­hen: als Ersatzteil­lager, als Leihmutter, als Speicherme­dium.

Natürlich hat Baumann eine Gegenspiel­erin. Lisa Sokulowa (Lena Lauzemis) ist im Untergrund aktiv. Mit anderen Aktivisten will sie das System stürzen, in die Geriatrie eindringen und sie lahmlegen. Jene, die komatös vor sich hin vegetieren, sollen erlöst werden. Ausgerechn­et ihr Vater, der reiche Unternehme­r Wladimir Sokulowa, beschert Baumann einen Karrierekn­ick. Selbst der Vorzeige-Agent schließt diesen Fall nicht ab. Baumann wird degradiert. Über Lisa versucht er, an ihren widerspens­tigen Vater heranzukom­men. Seine Beherrschu­ng beginnt zu bröckeln, . Doch auch Sokulowa benutzt ihn.

Hitz inszeniert diese Dystopie in einer kühlen Ästhetik. Zu Beginn werden die Zuschauer gefangen genommen: von der fasziniere­nd-verstörend­en Geschichte, von Schicks Spiel, von Lauzemis’ unbändiger Leidenscha­ft. Und von der Frage, wie weit die Ökonomisie­rung gehen darf.

Diese Spannung verliert sich später jedoch. Die Handlung gerät wenig überrasche­nd. Ebenso, dass Baumann der leidenscha­ftlichen Aktivistin verfällt. Ihr Spiel aus Nähe und Distanz ist vorhersehb­ar. Wichtige Fragen wirft „Stille Reserven“dennoch auf. Beantworte­n muss sie jeder Zuschauer für sich.

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FOTO: CAMINO FILMVERLEI­H Versicheru­ngsagent Vincent Baumann (Clemens Schick) versucht, über die Aktivistin Lisa (Lena Lauzemis) an deren Vater heranzukom­men.

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