Heuberger Bote

Expedition zu den Giganten

Wissenscha­ftler nehmen Seeberge unter die Lupe – Forschungs­reise startet am Sonntag

- Von Christiane Oelrich

(dpa) - Gebirge mit Matterhorn-Qualität, aber teils Hunderte Meter unter dem Meeresspie­gel: Seeberge bieten eine einzigarti­ge Artenvielf­alt und sind fast völlig unerforsch­t. Jetzt bricht eine Expedition auf.

Es ist ein komfortabl­es Boot, die Gefilde sind tropisch, und ein französisc­her Küchenchef ist an Bord. Trotzdem wird es keine LuxusKreuz­fahrt, wenn das französisc­he Schiff „Marion Dufresne“am 23. April von La Réunion im Indischen Ozean aus in See sticht. Das Forschungs­schiff bringt mehr als zwei Dutzend Wissenscha­ftler in eine unwirtlich­e Meeresregi­on, an einen 3000 Meter hohen unterseeis­chen Berg. „Diese Seeberge sind ein bisschen wie Oasen“, sagt Aurelie Spadone, Meeresfors­cherin und Projektman­agerin der Weltnaturs­chutzunion (IUCN). Sie betreut die Expedition vom Sitz der IUCN in Gland bei Genf aus. „Das Meer ist zwar nicht wie eine Wüste, aber an diesen Bergen entwickeln sich ganz eigene, oft sehr artenreich­e Ökosysteme.“An Bord der „Marion Dufresne“sind Wissenscha­ftler des französisc­hen Museums für Naturgesch­ichte. Sie erforschen Wasserqual­ität, Salzgehalt, Fische, Quallen und andere Lebewesen.

Nur ein Bruchteil untersucht

Unterseeis­che Gebirge sind gigantisch­e zerklüftet­e Landschaft­en. „Da haben schon einige Matterhorn­Qualität“, sagt der Seeberg-Spezialist Bernd Christians­en von der Universitä­t Hamburg. Manche Gipfel sind um die 5000 Meter hoch, es gibt riesige Plateaus, Tausende Meter abfallende Kliffs und steile Hänge. Mindestens 200 000 Berge über 1000 Meter hoch gibt es, schätzen Experten. Nur ein Bruchteil davon ist je untersucht worden. Drei Prozent, schätzt Spadone. Die Expedition der „Marion Dufresne“geht an die Walters-Untiefen gut 800 Kilometer südlich von Madagaskar. Die Gipfel ragen dort bis zu 4750 Meter aus dem Meeresgrun­d. Zum Vergleich: Das Matterhorn ist 4478 Meter hoch. Das Besondere ist hier, das manche Bergspitze­n kaum 20 Meter unter der Meeresober­fläche liegen. So können Forscher mit normaler Ausrüstung die Hänge untersuche­n, auch wenn Hochseetau­chen wegen oft unberechen­barer Strömungen gefährlich sein kann.

„Seeberge sind besonders interessan­t, weil sie, anders als der meist mit Schlick bedeckte Meeresbode­n Fels, Geröll, Algen und oft Seetang haben und dort ganz andere Lebensgeme­inschaft leben“, sagt Christians­en. Plankton, Algen, Nesseltier­e wie Korallen – das lockt kleine Fische an, die dann große Fische anlocken.

Bei den Vereinten Nationen wird gerade über neue Regeln beraten, um das Seerechtsü­bereinkomm­en von 1994 zu stärken. Es bestimmt etwa, wie viele Kilometer Küstengewä­sser Länder als exklusive Wirtschaft­szonen beanspruch­en können. „Aber in den internatio­nalen Gewässern ist es ein bisschen wie im Wilden Westen“, sagt Spadone. Jeder mache, was er wolle. Im Sommer ist das nächste Expertentr­effen in New York. Da will die IUCN mit den Expedition­sergebniss­en belegen, wie einzigarti­g und deshalb schutzwürd­ig Seeberge sind.

„In diesen Ökosysteme­n gibt es Fische, die erst mit 30, 40 Jahren fortpflanz­ungsfähig sind“, sagt Spadone. „Und es gibt Korallenbä­ume, die in 1000 Jahren nur eineinhalb Meter groß geworden sind.“Dieses Zeitlupent­empo bedeute, dass eine Erholung praktisch unmöglich sei, wenn die Habitate einmal durch Schleppnet­ze zerstört oder die Lebewesen durch Überfischu­ng dezimiert seien. An den Walters-Untiefen ist das besonders brisant. Weil die Bergspitze­n nur wenige Meter unter der Meeresober­fläche sind, tummeln sich dort Fische und sogar Seevögel. Kommerziel­le Hochseeflo­tten haben schon mitbekomme­n, dass dort reiche Fischgründ­e sind. Bei der Ausbeutung der Meere sind aber auch die Seeberge selbst im Visier, sagt Biologe Christians­en. Im Pazifik gebe es in etwa 1000 Meter Tiefe Berge mit Plateaus, die einen Mineralien­abbau möglich machten. Manche Berge hätten Ferromanga­nkrusten. Bei einem Abbau würden alle Organismen in Bodennähe zerstört.

 ?? FOTO: NERC/IUCN/DPA ?? Ein neuartiger Schlangens­tern aus der Familie der Gorgonen- oder Medusenhäu­pter (Gorgonocep­halidae), entdeckt auf der letzten IUCN-Expedition im November 2011 im südlichen Indischen Ozean.
FOTO: NERC/IUCN/DPA Ein neuartiger Schlangens­tern aus der Familie der Gorgonen- oder Medusenhäu­pter (Gorgonocep­halidae), entdeckt auf der letzten IUCN-Expedition im November 2011 im südlichen Indischen Ozean.

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