Ein Schritt in die Vergangenheit
Die Talheimer Heimatstube bietet den Besuchern Geschichte zum Anfassen
- Mit dem Schritt über die Türschwelle steht man in der Vergangenheit: Die Talheimer Heimatstube ist viel mehr als nur das Elternhaus von Max Schneckenburger („Die Wacht am Rhein“) – und hat auch viel mehr Geschichte zu erzählen als nur die des Dichters.
Der erste Raum, den Besucher der Talheimer Heimatstube zu sehen bekommen, ist auch gleichzeitig der größte, eingerichtet mit Möbeln aus damaligen Schlaf- und Wohnstuben: Truhen, Stühle, Schränke, das Mittelstück eines Ehebetts. „Das Holz des Bettes ist hochwertig bemalt. Das bedeutet, es gehörte Leuten, die es sich leisten konnten, mehr für ihre Möbel auszugeben“, erläutert Udo Vosseler.
Der Talheimer ist Mitglied des Arbeitskreises, der sich um die Heimatstube kümmert. Eingerichtet wurde sie von der Gemeinde am Schneckenburger Platz im ehemaligen Elternhaus des Dichters Max Schneckenburger, das die Gemeinde 1930 von dessen Erben erworben hatte. Nachdem sich zunächst ein Lebensmittelladen in dem Gebäude befand, wurden von 1936 bis 1945 Schülerinnen des Landjahrs dort untergebracht. „In der Nazizeit sollte den Jugendlichen hier beigebracht werden, wie hart das Landleben ist“, erzählt Berthold Zaczyk, ebenfalls Mitglied des Arbeitskreises. „Bei manchem im Ort ist das Haus deshalb noch immer als ,Landjahrhaus' bekannt.“
Im Jahr 1982 wurde die Heimatstube eingeweiht
Inzwischen sind in den oberen Wohnungen des Hauses Flüchtlingsfamilien untergebracht. Im Erdgeschoss können sich Gäste jedoch noch immer ein Bild davon machen, wie schwer das Leben vor Jahrzehnten war – von der Feldarbeit bis zum Waffeln backen. Die jetzige Heimatstube bot sich an, alte Möbel und Geräte auszustellen. 1982 wurde sie mit dem Straßenfest, das es damals noch in Talheim gab, eingeweiht.
Sich von der großen Stube zu lösen, fällt schwer. Denn immer wieder springt dem aufmerksamen Besucher etwas Neues ins Auge – Geschirr, Uhren, Spinnräder, alte Konfirmationsurkunden. Vosseler und Zaczyk kennen die Geschichte zu wohl jedem Ausstellungsstück. „Der Kachelofen stand im Nachbarhaus“, verrät Zaczyk, während Vosseler bereits zur Baartracht weitergewandert ist, die neben dem Ofen auf Puppen ausgestellt ist. „Die Frauen trugen damals viel Last“, sagt er und hebt eine der schweren Hippen an – gefärbt mit Brasilholz, das heute noch für die Herstellung von Brisilleneiern genutzt wird. „Diese Hippe gehörte einer Alt-Talheimerin, die nach Ameri- ka ausgewandert ist“, erzählt er. „Nach ihrem Tod haben Verwandte die Tracht aus Amerika nach Talheim zurückgeschickt, damit wir sie hier ausstellen können.“
Im nächsten Raum warten landwirtschaftliche Geräte und Werkzeuge – und ein Hornissennest. „Der frühere Leiter des Museums hat es auf dem Dachboden gefunden“, berichtet Zaczyk und betrachtet den kunstvollen weißen Kokon. „Faszinierend, nicht?“
Nächster Raum, mehr Schätze: Vosseler zieht einen reich verzierten alten Feuerwehrhelm aus dem Regal. „An der Helmzier erkannte man damals den Rang des Feuerwehrmanns“, erläutert er mit Blick auf die goldenen Ornamente. Viel wichtiger für die Feuerwehrleute war allerdings der schlichte Lederbeutel, der daneben hängt. „Mit diesen Löscheimern“, sagt Vosseler, „wurden damals Wasserketten vom Brunnen oder Fluss zur Pumpe gebildet.“Zaczyk bleibt beim Thema Feuer: „Das hier“, sagt er und hält etwas hoch, das für den ahnungslosen Betrachter einem verkohlten Donut ähnelt, „ist ein Pechkranz. Man zündete ihn an, legte ihn in eine Art Fackelhalter – und damit hätte man die frühzeitliche Straßenbeleuchtung, die damals aber eher ein Orientierungslicht darstellte.“
Geschichte ist in der Heimatstube immer auch zum Anfassen: Besucher können die raue Struktur der Pechkränze befühlen, die schweren alten Bügeleisen hochheben und auf den Stühlen Platz nehmen, die gar nicht so fragil sind, wie sie auf den ersten Blick scheinen. Alles wird vom Arbeitskreis liebevoll in Schuss gehalten. Es stecke viel Arbeit in der Einrichtung, bestätigt Vosseler mit Blick auf die Regale voller Schätze, die alten Bügeleisen und Glocken der Aus- scheller. „Wir können die Ausstellung gar nicht so in Schuss halten, wie wir das gerne würden – leider.“
Ein Leben ohne Backofen oder Mixer
Weiter geht es ins nächste Zimmer: Hier wird Talheimer Geschichte behandelt, die noch älter ist als die Hippen, Bügeleisen und Truhen selbst. Ein detailreiches Modell der Talheimer Burg auf dem Lupfen ist in der Mitte des Zimmers aufgebaut, die im 11. Jahrhundert entstand und nach ihrer Zerstörung durch die Reichsstadt Rottweil 1377 im Jahr 1416 geschleift wurde. „Wer auf dem Lupfen spazieren geht, kann die Burglinie noch erahnen“, sagt Vosseler, und Zaczyk fügt hinzu: „Wo jetzt der Turm steht, stand früher etwa der Burgturm.“Er selbst würde zu gerne einmal die Umrisse der Burg auf dem Lupfen mit Flatterband abstecken, sagt er. „Wir wissen, natürlich nicht, ob es damals tatsächlich so aussah. Aber es ist schön und macht Spaß, es sich vorzustellen.“
Eigentlich steht jetzt im Rahmen der Führung durch die Heimatstube die Küche auf dem Programm, die ein anschauliches Bild vermittelt, welche Arbeit es für die Menschen damals war, Essen ohne heutige Hilfen wie Backofen oder Mixer zuzubereiten und wie erfindungsreich sie darin waren, Waffeleisen zu gestalten oder Bohnen zu rösten. Doch die beiden Talheimer würden am liebsten noch eine Weile im Burgzimmer bleiben.
Faszinierende Ausstellungsstücke und Geschichten haben die beiden nämlich für eine tagelange Führung parat – was nicht erst klar wird, als Vosseler einen „Salpeterstecken“von der Wand nimmt. „In jedem Ort gab es den Salpeterer, der Salpeter suchen und einsammeln sollte“, erzählt er. „Und er war bei den Leuten höchst unbeliebt.“Wer jetzt wissen will, warum – der kann es sich selbst bei einer Führung durch die Talheimer Heimatstube erzählen lassen. „Ein kleiner Tipp“, sagt Zaczyk, „bringen Sie ein bisschen Zeit mit“.
Die Öffnungszeiten sind ganzjährig nach Vereinbarung mit Wilhelm Möst, Telefon 07464/ 28 40.