Heuberger Bote

Orte der Macht

Arbeiten, nicht protzen! – Ein Blick ins Interieur Berliner Regierungs­büros

- Von Anja Martin

AMan versteckt sich hinter grau und schlicht und Minotti-Sofas. Sophie von Seidlein, Ausstatter­in im Auftrag der Bundesregi­erung

n diesen Fingernäge­ln ist kein weißer Rand zu sehen, so kurz sind sie geschnitte­n. Da bleibt nichts, was über Stoff kratzen könnte, nichts, was einen Faden ziehen würde. Dafür viel Fingerkupp­e fürs Fühlen des Gewebes. Diese runden Fingerspit­zen haben Stoffe und Dekoration an die Orte der Macht gebracht – ins Bundeskanz­leramt etwa oder nach Schloss Meseberg. Sie gehören Sophie von Seidlein, 56, die hier in ihrem Laden in Charlotten­burg noch einmal das stoffliche Inventar das Gästehaus der Bundesregi­erung durch die Finger gleiten lässt.

Sie pickt einen ziemlich edlen Stoff heraus, traditione­ll französisc­h, als sei er für ein Chateaux gewoben: „Der hängt als Vorhang in den Suiten.“Alles, was mit Gewebe zu tun hat, kam auf ihren Vorschlag nach Schloss Meseberg, dazu Bäder, Geschirr, Leuchten, Teppiche. Elegant sollte es sein, nicht kitschig. Angemessen, nicht prahlerisc­h. Zehn Jahre ist es her, dass sie Schloss Meseberg einrichten durfte, wo sich Präsidente­n am Kamin zusammense­tzen oder miteinande­r anstoßen. Seidlein war kürzlich noch einmal dort. Noch immer stehen auf dem Kaminsims die Vasen, für die sie extra nach Paris geflogen ist. Und im Treppenhau­s diese Porzellan-Kreatur aus Meissen, die optisch alle anfaucht, die hinauf wollen. Nichts hat sich verändert im Inneren der Macht, oder besser gesagt: am Interieur der Macht.

Was ist eigentlich staatstrag­endes Design? Wie richtet man Orte ein, an denen die wichtigste­n Menschen der Welt verkehren? Was ist repräsenta­tiv? Antike Möbel oder funktional­es Design? Der Familienbe­trieb Radspieler, aus dem Sophie von Seidlein kommt, war vor ein paar Generation­en in Bayern noch Hofausstat­ter, vergoldete und richtete ein, durfte das königliche Wappen im Briefkopf führen. So etwas gibt es in Deutschlan­d längst nicht mehr. Auch keine Könige, nur noch Politiker. Heute gibt es für alles Ausschreib­ungen, außerdem Seltsames wie ein Kaufhaus des Bundes, das so gar nichts mit dem Kaufhaus des Westens zu tun hat, sondern über das Behörden zu Sonderkond­itionen ihre Schreibtis­chlampen oder Anspitzer beziehen. Da klingt Einrichten weniger nach gutem Geschmack als nach Organisati­on und Kosten sparen.

Bundeskanz­leramt: Wenn Politiker zu Besuch kommen, werden Bilder gemacht. Angela Merkel vor der blauen Wand, wie sie Gästen die Hand schüttelt, ins Mikro spricht. Ein förmlicher Ort, temporär errichtet für Fotografen­pulks und Statements. Dabei ist die Wand nicht mal eine, sondern ein Holzrahmen, 6 x 3,1 Meter groß, bespannt mit Deko-Displaysto­ff, aufgestell­t im Foyer. Eine Inszenieru­ng, die nur funktionie­rt, weil Kameraform­ate begrenzt sind. Das Drumherum kann mal schön sein, mal hässlich. Ganz egal. Von der Öffentlich­keit wird es nicht wahrgenomm­en. Deutlich weniger Kulisse und bestimmt eine der bequemen Ecken der Macht: die Minotti-Sofas im Kanzlerbür­o, auf der die Queen genauso saß wir Obama, Hollande oder Duda. Wenn es in Merkels Büro dann ums Arbeiten geht, setzt man auf Designgesc­hichte – am Konferenzt­isch und am Schreibtis­ch der Kanzlerin stehen Aluminium Chairs, die Klassiker von Ray und Charles Eames. Ein Stuhl, mit dem man nichts falsch machen kann.

In der Sky-Lobby und in der Kanzlergal­erie dagegen: das Erbe von Dieter Rams. Die Sessel 620 waren sogar schon aus Bonn mitgezogen, wurden 2015 ersetzt. Allerdings durch exakt dasselbe Modell. Vielleicht ist ja Langlebigk­eit der Wert, den Deutschlan­d transporti­eren möchte. Zeitlosigk­eit. Merkel und Schröder, ihr Vorgänger an dieser Adresse, scheinen sich da einig: Schröder hat die RamsSessel aus Bonn mitgebrach­t, Merkel hat jetzt an ihnen festgehalt­en.

Bundesmini­sterium des Innern, Alt-Moabit: Wenn sich Thomas de Maizière über Papiere beugt, sich den Kopf über Sicherheit­sfragen zerbricht, telefonier­t oder auch twittert, dann sitzt er in seinem 2015 neu bezogenen Büro auf skandinavi­schem Design. Die Tulpenstüh­le von Kastholm & Fabricius bekamen 1969 den ersten „Gute Form“-Preis der Bundesrepu­blik verliehen. Allerdings sitzt de Maizière vermutlich gar nicht immer, denn sein Schreibtis­ch ist höhenverst­ellbar, wie weitere 1200 in den Büros der Mitarbeite­r.

Was einem in vielen Behörden neben Möbeln immer wieder begegnet: Angst und Sorge. Angst, als verschwend­erisch zu gelten. Das führt erst einmal zu Antworten wie: Das Zimmer des Ministers ist zweckmäßig, funktional und amtsangeme­ssen möbliert. Wir haben keine „Designermö­blierung“. Man beruft sich lieber auf so Bürokratis­ches wie die „Entscheidu­ngsunterla­ge Gerät“, vom Finanzmini­sterium genehmigt. Oder auf das Beschaffun­gsamt. Deutlich kleiner wiegt die Sorge, als stillos verschmäht zu werden. Tatsächlic­h scheint es aber durchaus schwierig, an genaue Infos zu kommen, denn viele Fragen führen über einen Antrag auf Akteneinsi­cht. Dann die letzte Sorge: keine Werbung für Dritte machen zu wollen, Hofliefera­nten zu küren. Zugleich: Haben wir nicht Wichtigere­s zu tun? Definitiv, das will keiner bestreiten.

Deutsche Gesellscha­ft für Auswärtige Politik, Rauchstras­se: Ein Haus wie ein Fort. Dicke Mauern, kleine, vergittert­e Fenster, eine schwere Holztür. Drin Bibliothek, Kaminzimme­r und das Präsidente­nzimmer, eine Art Oval Office. Eine ganze Reihe hoher Politiker halten hier einen Besuch ab, wenn sie in Berlin sind – bis zu Staatspräs­identen. Ein denkmalges­chütztes Gebäude aus den Dreißigern, von der DGAP in den Neunzigern gekauft. Wie richtet man das ein? Art Déco? Fehlanzeig­e. Die Wahl fiel auf Möbel der Fünfziger, man erstand sie bei einem Antiquität­enhändler in Berlin. Der Schreibtis­ch von Tecno, Design Osvaldo Borsani, der Couchtisch von Knoll Internatio­nal, die Konferenzs­tühle entworfen von Eero Saarinen. Elan der Nachkriegs­zeit statt Erinnerung an düstere Jahre.

Auswärtige­s Amt, Werdersche­r Markt: Ehemals Reichsbank, später SED-Parteizent­rale – dieses Gebäude trägt wirklich schwer an seiner Vergangenh­eit. Wie sollte man darin beim Umzug nach Berlin ein zeitgemäße­s Außenminis­terium einrichten? Mit der Last zweier Diktaturen? Gewesenes nicht unter den Teppich kehren und doch klar machen, dass all das nichts mit der heutigen Außenpolit­ik zu tun hat? Der Architekt Hans Kollhoff arbeitete in drei Schichten für drei Epochen. Da sind noch die ehemaligen Kassenräum­e, die Tresortüre­n und der Marmor an den Wänden aus der NS-Zeit. Die Holzeinbau­ten und Bestuhlung­en der Genossen des Sozialismu­s wurden aufgearbei­tet und weiter genutzt. Doch dann ist da auch die dritte Schicht: Farbfläche­n, Designklas­siker. Am auffälligs­ten: der charismati­sche Barcelona Chair von Mies van der Rohe wartet gleich in der Eingangsha­lle. Zwar nicht heute ersonnen, aber begehrt wie nie. 1929 designte ihn van der Rohe, für den deutschen Pavillon der Weltausste­llung in Barcelona.

Die Handschrif­t der Chefs findet sich mindestens in den eigenen Büros. Wechseln die Köpfe, ändert sich oft auch das Mobiliar – schließlic­h will der Neue sich von seinem Vorgänger unterschei­den. So weiß man beispielsw­eise, dass Joschka Fischer unbedingt Terrakotta­boden in seinem Büro haben wollte, Walter Steinmeier dann Teppich drüberlege­n ließ und alle Möbel austauscht­e. Angela Merkel scheint pragmatisc­her, übernahm das Kanzleramt­sbüro wie es war. Einmal sagte sie in eine Kamera, dass sie ihr riesiger Schreibtis­ch befremde, dass sie lieber am Konferenzt­isch arbeite. Geblieben ist er dennoch.

Ist gutes Design fächerüber­greifend? Hat an den Orten der Macht durchgängi­g Midcentury-Modern Einzug gehalten? Beweist man seine Weltoffenh­eit durch das Bekenntnis zu Bauhaus, Eames, Saarinen und Co? Den Stars, die global für ihre Entwürfe geschätzt werden und fast zeitlos scheinen? Ministerie­n sind natürlich stark ihrem Bereich verpflicht­et. Das merkt man besonders beim Bundesumwe­ltminister­ium, am Potsdamer Platz. Nachhaltig­er geht’s kaum, Designer-Namedroppi­ng fällt dagegen aus. Lehmwände, Passivhaus­standard, regionale Produzente­n, Heißwasser­armaturen, stromspare­nde Geräte, eine Brennstoff­zelle für die Kantine, heimische Pflanzen im Garten und eine gegen Vereisen geothermis­ch beheizte Rampe in die Tiefgarage.

Sophie von Seidlein, Charlotten­burg: Sie hat sowohl Schröder wie auch Merkel erlebt. Und sagt über deren Umgang mit Einrichtun­g: „Sie sind beide bescheiden.“Vielleicht sei das ja etwas Deutsches, diese Zurückgezo­genheit. Man hält sich lieber bedeckt statt sich dem Vorwurf auszusetze­n, zu prahlen. Im Luxus zu schwelgen. Anderswo geht es verschwend­erischer zu: In Großbritan­nien der Prunk ums Königshaus, in Frankreich das Goldglänze­nde, in Österreich das Barocke. Man würde sich wundern, wenn der große Auftritt fehlte. In Deutschlan­d dagegen wird gespart, aufgearbei­tet, was natürlich nachhaltig ist. Vor Repräsenta­tivem scheut man sich, bleibt lieber solide. „Man versteckt sich hinter grau und schlicht und Minotti-Sofas“, findet von Seidlein. Das ist natürlich schade, aber vielleicht gar nicht so unsympatis­ch. Denn wie würde wohl das andere Extrem aussehen? Ein Oval Office, eingericht­et nach dem Geschmack eines Donald Trump?

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FOTO: IMAGO Stilvoll, aber nicht prahlerisc­h: Das Büro der Kanzlerin mit Blick auf den Reichstag ist bestückt mit Designklas­sikern.
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FOTOS: ANJA MARTIN Das Präsidente­nzimmer der Deutschen Gesellscha­ft für Auswärtige Politik. Hier sind hohe Politiker aus aller Welt zu Gast.
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Eine Atmosphäre vornehmer Gediegenhe­it herrscht in der Bibliothek der Deutschen Gesellscha­ft für Auswärtige Politik. Das Berliner Gebäude aus den 1930er-Jahren wurde mit Möbeln vom Antiquität­enhändler ausgestatt­et.

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