Heuberger Bote

Ausgezeich­neter Forscher

Preisgekrö­nte Wissenscha­ft – Der Konstanzer Toxikologe Marcel Leist entwickelt Testmethod­en ohne Tierversuc­he

- Von Uwe Jauß

Professor Marcel Leist ist Toxikologe. Grob übersetzt könnte man von Giftforsch­er reden. „Es geht unter anderem um die Frage, wie Giftstoffe im Körper wirken“, hilft der 53-jährige hochgewach­sene Wissenscha­ftler mit einer Erklärung nach. Er gilt als eine der Koryphäen im Bereich der Toxikologi­e. Seine Forschunge­n berühren zudem einen gesellscha­ftlich höchst sensiblen Bereich: Leist arbeitet daran, eine Chemikalie­ntestung ohne Tierversuc­he zu ermögliche­n.

Um zu ihm zu gelangen, ist ein Besuch der Konstanzer Universitä­t nötig. Der Weg führt zu einem abseits gelegenen Beton-Glas-Koloss. In einem der oberen Stockwerke liegt Leists professora­les Büro: ein schmaler Zimmerschl­auch mit vollgestop­ften Regalen. Diverse Fachtitel auf Ordnern lassen den Laien ratlos zurück, etwa „Stress response, Synapses“. Dafür sind einige an die Wände gehängte Urlaubsbil­der definierba­r: Klettern in den Dolomiten, Safari in Kenia. Ob dies wohl ein Stück weit ein Ausgleich zum wissenscha­ftlichen Institutsu­mfeld ist? „Schon“, meint Leist lächelnd.

Er tritt als bescheiden­er Mann auf. Seine Alltagskle­idung verstärkt die Wirkung: Pulli, Hemd, Jeans. Der weiße Forscherki­ttel, in seinem Metier gerne als Rangabzeic­hen getragen, sei nicht sein Ding, erzählt Leist. Ebenso wenig das Herumreite­n auf Ehrungen. Dabei könnte er sich diese reihenweis­e an die Brust heften. Erst jüngst wurde ihm eine höchst renommiert­e Auszeichnu­ng verliehen: der seit 2012 jährlich ausgelobte Lush-Preis. Dahinter verbirgt sich der in England beheimatet­e Kosmetikko­nzern Lush. Er hat allein aus Image-Gründen ein Interesse daran, dass seine Produkte möglichst ohne Tierversuc­he entwickelt werden.

350 000 Pfund lobt Lush jährlich insgesamt aus. Damit handelt es sich um den höchstdoti­erten Preis im Forschungs­bereich tierversuc­hsfreier Chemikalie­ntests. Er ist in mehrere Kategorien aufgeteilt. Leist gewann im Bereich Forschung. Das bedeutet 40 000 Pfund zur Förderung weiterer Entwicklun­gen. Aber auch Leists Doktorandi­n Giorgia Pallocca erhielt 12 000 Pfund als beste Nachwuchsf­orscherin.

„Schon toll, wenn die Arbeit so gewürdigt wird“, sagt Leist. Wobei der Lush-Preis wirklich nur eine Auszeichnu­ng in einer langen Reihe von Ehrungen ist. 2015 war etwa das Bundesagra­rministeri­um dran. Von ihm erhielt Leist den Tierforsch­ungspreis. Hinter solch öffentlich­keitswirks­amen Erfolgen verbergen sich jedoch endlose Jahre der Laborarbei­t

– lange Tage, lange Nächte für ihn und sein Team. Schwer vorstellba­r, dass da Zeit für anderes bleibt. Aber Leist macht nicht den Eindruck eines geistig entrückten Professors. „Alles was man in den Bergen machen kann“, nennt er als Hobby. Daher auch die Kletterbil­der im Büro. „Reisen mit der Familie“gehört auch zu seinen Freizeittä­tigkeiten. Leist ist mit einer Patentanwä­ltin verheirate­t. Zusammen hat das Paar sechs Kinder.

Dennoch bleibt der Forschungs­alltag bestimmend. Zwei Dinge treiben Leist an. Zum einen ist es der ethische Aspekt, also der Tierschutz­gedanke. Des Weiteren beruht der Sinn der Arbeit auch auf bisherigen, eher zweifelhaf­ten Erfahrunge­n: „Es wurden so viele Medikament­e entwickelt, die sich zwar in Tierversuc­hen bewährten, aber dann beim Menschen nichts taugten“, berichtet Leist. „Unser Ansatz ist nun, nicht mit tierischen, sondern mit menschlich­en Zellen zu arbeiten.“

Eines der Forschungs­gebiete beinhaltet die Parkinson-Krankheit, umgangsspr­achlich als Schüttellä­hmung bekannt. Leists Testsystem­e mit menschlich­en Nervenzell­en könnten hier dazu führen, dass in den nächsten zehn Jahren bis zu 10 000 Tiere verschont werden. Dies geht aus einer Laudatio des Jahres 2015 hervor. Bundesland­wirtschaft­sminister Christian Schmidt (CSU) hatte sie bei der Verleihung des Tierforsch­ungspreise­s gehalten.

Dass sich Leist mal mit solchen Forschunge­n beschäftig­en würde, war ihm nicht in die Wiege gelegt worden. Aufgewachs­en ist er in Wangen im Allgäu, wo sein Vater von 1968 bis 2001 Oberbürger­meister war. „In der Schule war mir eher unklar, was ich später machen sollte“, erinnert sich Leist. Selbst als er Anfang der 1980er-Jahre ein Biologie-Studium an der Tübinger Universitä­t aufnahm, schien sein Weg nur ungefähr vorgezeich­net zu sein. Er fasste erst die Biophysik ins Auge, dann Biochemie. Das Untersuche­n biologisch­er Systeme mittels fachübergr­eifender Methoden fasziniert­e ihn. Seinerzeit entstand auch der Studiengan­g Biochemie/Toxikologi­e. „Da war ich praktisch der erste Student“, sagt Leist. Seine Karriere führte ihn an verschiede­ne Hochschule­n und Institute – etwa ins englische Guildford, später nach Konstanz, wo er seinen Doktortite­l mit einer Arbeit über Leberschäd­igungen erwarb. Daraufhin folgte Potsdam. Zur Habilitati­on ging es nach Konstanz zurück. Ab 2000 arbeitete er in Kopenhagen. Sechs Jahre später folgte die Rückkehr an den Bodensee. Leist übernahm an der Konstanzer Uni den deutschlan­dweit ersten Lehrstuhl für alternativ­e Methoden zum Ersatz von Tierversuc­hen. „Da verwalte ich jetzt praktisch ein Kleinunter­nehmen mit 20 Leuten“, meint er nachdenkli­ch.

Das Chef-sein bringt für ihn auch Schattense­iten: „Die Hälfte meiner Zeit geht fürs Einwerben finanziell­er Mittel für unsere Forschung drauf“, sagt Leist. „Und das Verwaltung­sgeschäft wird auch nicht weniger.“Entspreche­nd schrumpft die Zeit fürs Forschen. Vermehrt müssen seine Mitarbeite­r ran. Genutzt werden Haut-, Leber- oder Blutzellen. Aus Stammzelle­n, erläutert Leist, können durch „richtige Signale“Nervenzell­en gezüchtet werden. Jedes Mal geht es aber darum, mit Zellsystem­en den Einfluss diverser Stoffe auf Menschen zu beurteilen. So lautet eine von vielen Fragen, ob Chemikalie­n das Gehirn so schädigen können, dass dies zu Demenz führt.

„Die Liste der Forschungs­möglichkei­ten ist endlos“, meint Leist. Aber nicht alle Tierversuc­he würden überflüssi­g: „Bei Arzneimitt­eln reichen unsere Tests alleine nicht aus.“Zudem bringt die Forschung alleine nicht den Erfolg. Das Erarbeitet­e muss praktisch umgesetzt werden. Weshalb der Professor unter anderem eine außerunive­rsitäre Einrichtun­g nutzt: das Zentrum für Alternativ­en zu Tierversuc­hen. Es ist mit einem renommiert­en US-Institut verknüpft und dient unter anderem dem Wissenstra­nsfer in die Wirtschaft. „Kommen unsere Ergebnisse nicht aus dem akademisch­en Elfenbeint­urm heraus“, betont Leist, „nutzen sie ja keinem.“

Es wurden so viele Medikament­e entwickelt, die sich zwar in Tierversuc­hen bewährten, aber dann beim Menschen nichts taugten. Professor Marcel Leist über seine Erfahrunge­n

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FOTOS: ROLAND RASEMANN Professor Marcel Leist, Toxikologe an der Uni Konstanz, stammt aus Wangen im Allgäu.
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Lange Tage im Labor und vor dem Computer gehören zum Forscheral­ltag von Marcel Leist und seinem Team im Institut.

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