Heuberger Bote

Ein bisschen Prenzlauer Berg mitten in Ravensburg

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m Ravensburg­er Gespinstma­rkt sitzen die Leute auf Holzstühle­n vor sechs großen Buchstaben aus Metall: „Stippe“steht da über dem gläsernen Eingang. Links davon liegt die Bar, klassisch eingericht­et und dominiert von einer mächtigen Espressoma­schine, die röchelnd Wasserdamp­f atmet, wenn der Barista die Milch aufschäumt. Rechts vom Eingang liegt das eigentlich­e Restaurant, dessen Gäste ganz gefangen sind von den vielen Eindrücken, die dort von der mit Plakaten und Fotos gepflaster­ten, raumhohen Collage-Wand ausgehen. Und vor der Tür selbst lässt es sich vorzüglich in den Abend hinein philosophi­eren, während halb Ravensburg vorbeispaz­iert. Darunter bunte bis schräge Vögel, die einem auch im Prenzlauer Berg über den Weg laufen könnten. Jedenfalls ist der Gespinstma­rkt vor der Kulisse des Stippe so urban, wie man es Ravensburg gar nicht ohne Weiteres zugetraut hätte. Der Name des Hauses rührt übrigens von Thomas Stippe, dem Inhaber. „Die Küche läuft hier unter ,mediterran’“, sagt der Tischgenos­se, und bestellt einen Zander mit Linguine. Auf der schnörkeli­g geschriebe­nen Tageskarte preist die Küche ein Sellerie-Süppchen mit Safran und Shiso Sprossen an. Bei Letzteren handelt es sich um eine neckisch in Lila daherkomme­nde Kresse-Art. Tatsächlic­h hat sie neben den optischen auch geschmackl­iche Qualitäten. Eine frische und frühlingsh­afte Schärfe geht von ihnen aus, die sehr gut mit dem zarten Safrangesc­hmack in Einklang steht. Safran ist es auch, der den Sud in ein tiefgreife­ndes Gelb taucht. Ansonsten bleibt die Selleriesu­ppe in ihrer Substanz aber ein bisschen flach. Eine säuerliche Komponente hätte ihr geschmackl­ich womöglich etwas auf die Beine helfen können. Der Zander aber hinterläss­t einen tadellosen Eindruck: saftig-zartes Fleisch und knusprige Haut, an der vorbildlic­hen Frische besteht kein Zweifel. Die gebutterte­n Linguine nebst Pesto runden dieses ehrliche Gericht bestens ab. Dass die Küche mit Fisch umzugehen weiß, zeigen auch die gegrillten Calamarett­i. Die kleinen Tintenfisc­hchen schmecken nach Mittelmeer, ihre größtentei­ls zarten Tuben vertragen sich bestens mit der offenbar hausgemach­ten Knoblauch-Mayonnaise. Und auch die gerösteten Kartoffels­tücke samt den Oliven sind alles andere als verkehrt.

Überhaupt ist es schön zu sehen, dass sich ein Restaurant in Ravensburg traut, komplett auf Schwäbisch­es zu verzichten, um sich den mediterran­en Anrainerst­aaten zu widmen, ausformuli­ert in leichter französisc­her und italienisc­her Küche. Das hindert die Küche übrigens nicht daran – wie zum Zeitpunkt dieser Aufzeichnu­ngen – auch einen thailändis­chen Ausflug auf der Tageskarte zu wagen.

Beim Dessert steuert das Menü aber in Gefilde, die italienisc­her nicht sein könnten: hausgemach­tes Tiramisu. Und auch das hat die Küche im Repertoire, ungekünste­lt aber schmackhaf­t: viel hochkalori­scher Mascarpone, intensiver Espresso, üppige Eiermasse. Da bleibt kein Auge trocken und kein Magen nüchtern.

Fazit: Es lässt sich also sehr ordentlich und ohne Chichi im Stippe essen. Und auch von der wohltuende­n Atmosphäre heiterer Gelassenhe­it kann der Gast förmlich abbeißen und seinen Hunger nach entspannte­r Geselligke­it stillen.

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FOTO: NYF Zart, saftig und herrlich mediterran: Zander mit gebutterte­n Linguine.
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Von Erich Nyffenegge­r

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