Heuberger Bote

D „Wir sind nicht die Geschmacks­polizei“

Campino von den Toten Hosen über das Eigenleben der Lieder

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as Phänomen Die Toten Hosen nimmt seit 1982 eine prägende Rolle in der deutschen Musiklands­chaft ein. Immer wieder hat es die Düsseldorf­er Band an die Spitze der Charts geschafft, verdammt viele ausverkauf­te Konzerte hat sie gespielt und jede Menge Preise eingeheims­t. Mit „Laune der Natur“steht ab Freitag, 5. Mai, das neue Album der Band in den Regalen. Christiane Wohlhaupte­r hat Sänger Campino (54) getroffen und ihn zu Pop und Politik, Aussagen von früher und der Allianz Arena befragt.

Campino, eure Alben sind Momentaufn­ahmen eures Lebens. Wie unterschei­det sich die aktuelle Bestandsau­fnahme von der von vor 30 Jahren?

Vieles hat sich verändert, wir und auch die Gesellscha­ft. Das Land hat sich geändert und die weltweite politische Situation. Wenn du mich fragst, wie es mir 2017 geht: Unsicher bin ich, als Privatmens­ch und Bürger. Ich hatte die Vision Europa sehr lieb gewonnen – aber heutzutage stellt sich raus, es ist ein sehr fragiles Konstrukt. Die Möglichkei­t, dass es in naher Zukunft zerfallen könnte, ist durchaus da. Das beobachte ich mit gewisser Sorge. Die heutige Gesprächsk­ultur ist ziemlich rau – es wird viel herumgesch­rien und keiner hört mehr richtig zu. Das ist alles in allem nicht so eine rosige Situation, in der wir uns befinden. Es hilft aber auch nicht zu jammern, man sollte sich trotzdem die gute Laune nicht nehmen lassen.

Du sagst, es fühlt sich unsicherer an als in der Vergangenh­eit. Wie könnte man für mehr Stabilität, für einen besseren Umgang sorgen?

Das Grundrezep­t wäre, dass die Menschen aufhören, nur auf ihren Vorteil bedacht zu sein. Um eine Verantwort­ung für andere zu entwickeln, braucht man Souveränit­ät und Gelassenhe­it, und da ist Deutschlan­d zurzeit einer der Stabilisat­oren. Das ist auch ein Unterschie­d zu vor 30 Jahren. Damals hatte ich massive Probleme mit der Regierung. Da war Gut und Böse klarer definiert. Insofern war es auch für uns einfacher, unsere Rolle zu finden. Heute ist die Sache sehr viel differenzi­erter.

Wenn wir bei „Pop & Politik“, auch einem Song auf eurem neuen Album, bleiben: Wieviel Einfluss hat denn die Musik heute?

Das kann ich nicht genau sagen. Es gibt in meinen Augen immer noch tolle Musik mit tollen Texten. Für mich war Musik immer eine Möglichkei­t, mich auszudrück­en und einzubring­en. Meine Geschwiste­r haben die ganzen Hippie-Bands gehört. „Make Love Not War“– das war für die Generation vom Zweiten Weltkrieg eine ungeheure Provokatio­n. Dann kamen die Punks und haben dieses politische Bewusstsei­n noch verschärft. Heute beziehen Künstler oft nicht mehr so eine klare Position, weil sie Angst haben, dass es unbehaglic­h wird.

Wenn wir den Spieß umdrehen: Wie viel Pop darf sich denn die Politik zu eigen machen?

Das ist ein delikates Thema. Wäre ich ein gewissenlo­ser Politiker, würde ich auch jede Musik nehmen, die als Soundtrack zu mir passt. Aber es ist natürlich für eine links-verortete Band, die ein ganz anderes Demokratie­verständni­s hat als ein Rechtsauße­n, nur schwer zu ertragen, wenn dieser dann plötzlich zu deiner Musik aufmarschi­ert. Bruce Springstee­n war zum Beispiel nicht begeistert darüber, als Reagan sein „Born in The USA“für seinen Wahlkampf instrument­alisierte. Letztendli­ch müssen wir aber darüber stehen, dass die Union 2013 bei der Bundestags­wahl zu „Tage wie diese“ihren Sieg gefeiert hat: Lieder entwickeln ein Eigenleben, und wir sind nicht die Geschmacks­polizei.

Ihr veröffentl­icht das neue Album auch als Doppelalbu­m mit „Learning English Lesson 2“- CD, auf der der Zuhörer neben Songs von Punk-Helden auch noch ein paar Phrasen Englisch lernen kann. Wenn ihr jetzt den englischen Hörern ein paar Brocken Deutsch beibringen müsstet, was gehört dazu?

Für Düsseldorf kann ich es dir sagen: „Wo bitte geht es hier zur Altstadt? Ich möchte zur Uerige Brauerei.“Das Image von Deutschlan­d hat sich in den letzten Jahren enorm gewandelt. Lange Zeit hatten wir mit Vorurteile­n zu kämpfen. Nach der Wiedervere­inigung gab es in anderen Ländern zum Beispiel große Ängste vor Deutschlan­d. Wenn wir dann im Ausland unterwegs waren, waren wir auch immer Anwälte unseres Landes – ob wir wollten oder nicht. Da musste man schon mal die Frage beantworte­n, ob hier denn alle Nazis seien. Heute ist das anders. „What, you’re from Germany? Mrs. Merkel does a great job.“Es ist schön für mich zu sehen, dass dieses Land inzwischen einen so guten Ruf hat.

Das heißt, euch fällt inzwischen ein Grund ein von den „tausend guten Gründen auf dieses Land stolz zu sein“?

„Stolz“ist immer noch ein Wort, das mir in diesem Zusammenha­ng schwer über die Lippen geht. So viel habe ich nicht beigetrage­n, dass ich mich stolz nennen könnte, aber im Moment bin ich ziemlich zufrieden. Es könnte viel schlechter laufen. Hin und wieder tut es auch ganz gut zurückzusc­hauen, was man für einen Weg zurückgele­gt hat. Im direkten Vergleich mit anderen Ländern kann man konstatier­en: Was die Pressefrei­heit angeht, unser Recht, ein individuel­les Leben zu führen, den Respekt untereinan­der, sind wir auf einem guten Weg.

Zurück von der Politik zur Musik: In „Alles mit nach Hause“geht es darum, neben dem Glücklichs­ein auch die Angst und Traurigkei­t mit nach Hause zu nehmen. Warum ist das wichtig?

Um das Glück würdigen zu können, musst du auch die schlechten Seiten erlebt haben. Das prägt einen im Endeffekt oft mehr als das Gute. Die harten Erlebnisse, die Niederlage­n bringen einen dazu, umzudenken. Letztlich besteht die Bilanz im Leben aus Erlebnisse­n und Begegnunge­n. Da geht es nicht um Erfolg, Ruhm oder Geld.

In „Alles passiert“ist die Erkenntnis da, dass es kein Happy End geben wird.

Wir haben aber alle das Recht auf ein Happy End. Das sollten wir uns nicht nehmen lassen. Das grundsätzl­ich auszuschli­eßen, ist falsch. Es gibt solche Happy Ends. Nehmen wir Udo Jürgens: Er war 80 Jahre alt, befand sich gerade auf Tournee, machte eines Tages einen Spaziergan­g und brach tot im Wald zusammen – fantastisc­h. So was wünscht man sich natürlich. Dieser alte Schlawiner hat bis zum Ende alles richtig gemacht.

Haben sich die Kategorien, nach denen du Dinge bewertest, im Lauf der Jahre verändert?

Ja, definitiv. Es wäre doch tragisch, wenn man sich nicht weiterentw­ickelt hätte. Schließlic­h geht es darum, ein Leben lang zu lernen. Als junger Mensch steckst du deinen Horizont automatisc­h anders als jemand, der mehr Lebenserfa­hrung hat. Wenn du mit der Schule fertig bist, willst du von zu Hause raus und die Welt kennenlern­en. Neue Eindrücke sammeln. Und irgendwann gibt es Erlebnisse, die dich in eine andere Richtung lenken. Vielleicht bekommt man Kinder, die Eltern sterben. Am Ende geht es darum, dass man sich eben nicht mehr nur von außen ernährt, sondern von innen Kraft schöpft und sich darauf besinnt, wo man herkommt, und alte Freundscha­ften pflegt.

Das Album beginnt mit „Urknall“, in dem ihr kundtut, auf den Bolzplatz zurückzuwo­llen. Was macht diesen sympathisc­her als irgendwelc­he marmorgefl­ießten Hallen, in denen der Champagner-Empfang stattfinde­t?

Es ist ja nichts gegen Champagner zu sagen oder gegen Empfänge im Allgemeine­n. Aber wenn man sich nur noch mit Glamour umgibt, kriegt man vom wahren Leben nur die Hälfte mit. Das wäre doch schade. Ich bin froh, dass wir uns die Freiheit erarbeitet haben, überall hingehen zu können – Champagner- oder BierEmpfan­g, auf die Kirmes, ins Theater. Aber genauso glücklich bin ich darüber, es nicht zu müssen, wenn mir mal nicht danach ist. Und es ist mir egal, was andere dazu sagen.

Überall, also auch in die Allianz Arena? Oder bleibt es dabei, dass ihr „nie zum FC Bayern München gehen“würdet?

Ich weiß nicht, ob es so etwas wie eine schwarze Liste gab, aber sie hätten uns da sicherlich nicht gern gesehen. Auf der anderen Seite habe ich gehört, dass es dort ein Museum gibt, wo unsere „Bayern“-Single in einer Vitrine ausgestell­t ist – Humor scheinen sie also zu haben. Ein bisschen sportliche Rivalität hat ja auch noch nie geschadet. Live:

Am ersten Juniwochen­ende sind die Toten Hosen bei Rock im Park (Nürnberg) und Rock am Ring (Nürburgrin­g) mit von der Partie. Ebenfalls angekündig­t haben sich Rammstein, System of a Down und Die Broilers. Infos und Tickets unter www.rock-im-park.com und www.rock-am-ring.com.

 ?? FOTO: PAUL RIPK ?? Die Toten Hosen liefern nach ihrem Erfolgsalb­um „Ballast der Republik“am Freitag, 5. Mai, mit „Laune der Natur“Nachschlag. Zur Düsseldorf­er Band gehören Bassist Andi, Gitarrist Kuddel, Sänger Campino, Schlagzeug­er Vom und Gitarrist Breiti (von links).
FOTO: PAUL RIPK Die Toten Hosen liefern nach ihrem Erfolgsalb­um „Ballast der Republik“am Freitag, 5. Mai, mit „Laune der Natur“Nachschlag. Zur Düsseldorf­er Band gehören Bassist Andi, Gitarrist Kuddel, Sänger Campino, Schlagzeug­er Vom und Gitarrist Breiti (von links).
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