Gewalt unter Gefangenen nimmt zu
Allein 2016 wurden 74 Misshandlungen dokumentiert – JVA-Leiter: „Übergriffe nicht vollständig vermeidbar“
- In den baden-württembergischen Gefängnissen nehmen die Übergriffe unter Insassen zu. Zu den Betroffenen gehörte im vergangenen Juli auch der mutmaßliche Dreifachmörder von Ravensburg-Untereschach, der in der Justizvollzuganstalt (JVA) Ravensburg beim unbeaufsichtigten Hofgang von einem 22-jährigen Mithäftling brutal zusammengeschlagen wurde. Ebenso hat ein 46-Jähriger aus Berg, der seine Frau umgebracht und ihren Suizid vorgetäuscht haben soll, jüngst Morddrohungen bekommen.
Kommt es zu einem Angriff auf Gefangene, muss die Gefängnisleitung dies dem Justizministerium in Stuttgart melden. Das Ministerium hat in den vergangenen Jahren eine insgesamt steigende Zahl vorsätzlicher Misshandlungen unter Gefangenen registriert. Im Jahr 2011 wurden landesweit 29 Fälle bekannt. 2012 waren es 51, im Jahr 2013 dann 37 Übergriffe. 2014 wurden 59 Misshandlungen gemeldet, 2015 waren es 66 und im Jahr 2016 schließlich 74 Fälle. Rund 7500 Gefangene sitzen derzeit in baden-württembergischen Haftanstalten ein.
„In den JVAs stehen Übergriffe auf der Tagesordnung“, sagt der Ravensburger Rechtsanwalt Richard Glaubach. Er hat den 53-jährigen Dreifachmörder bis zu dessen späterem Suizid vertreten.
Um Konflikte zu entschärfen oder sie gar nicht erst entstehen zu lassen, werden die Gefängnisinsassen normalerweise getrennt untergebracht. Zudem existieren besondere Sicherungsmaßnahmen. Jedoch könnten die Anstalten nur innerhalb rechtlicher Grenzen agieren und hätten praktische Schwierigkeiten, Gefahren jederzeit sicher einzuschätzen, betont der Ravensburger JVA-Leiter Thomas Mönig: „Übergriffe sind nicht vollständig vermeidbar.“Immer wieder komme es zu verbalen und körperlichen Attacken oder Drohungen.
Auch das Landesjustizministerium hält eine vollständige Separation der Gefangenen für unmöglich. „Eine permanente Trennung eines Gefangenen von anderen – beispielsweise beim Hofgang – ist aus verfassungsrechtlichen Gründen nur in eng begrenzten Ausnahmefällen zulässig. Ein verfassungskonformer Vollzug ist auf eine gemeinsame Unterbringung während der Arbeit und der Freizeit ausgerichtet“, teilt Ministeriumssprecher Robin Schray mit.
Opfer schweigen vor Gericht
Wenn es zu Vorfällen in den Justizvollzugsanstalten kommt und diese angezeigt werden, dann gestaltet sich die Aufklärung mitunter schwierig. „Viele nehmen lieber eine Falschaussage in Kauf, als gegen einen Mitgefangenen auszusagen“, berichtet der Ravensburger Rechtsanwalt Richard Glaubach. Selbst die Opfer würden vor Gericht nicht selten einen Rückzieher machen. Aus Angst vor Folgen.