Heuberger Bote

Äthiopiens Wachstum birgt sozialen Sprengstof­f

- Von Ulrich Mendelin, Addis Abeba

Addis Abeba ist eine Stadt der Baustellen: Im Zentrum werden Wellblechh­ütten durch moderne Wohn- und Geschäftsh­äuser ersetzt. An den Stadtrände­rn wuchern die Neubauvier­tel. Äthiopiens Hauptstadt boomt. Doch das Wachstum birgt sozialen Sprengstof­f.

Im Vielvölker­staat Äthiopien sieht die Verfassung für jede größere Bevölkerun­gsgruppe einen eigenen Bundesstaa­t vor. Rund um Addis Abeba wohnen die Oromo. Die Hauptstadt selbst ist hingegen ethnisch gemischt, hierher ziehen Menschen aus allen Teilen des Landes. Für sie wollte die Regierung Platz schaffen und ersann den „Stadtentwi­cklungspla­n Addis Abeba“. Das Problem: Egal, wohin die Hauptstadt sich ausbreitet – immer geht es auf Kosten der Oromo. Sie befürchten, ohne angemessen­e Entschädig­ung vertrieben zu werden. Ab 2015 kam es deswegen zu Unruhen, es gab Tote und Verletzte.

Im Oktober 2016 hat die Regierung den Ausnahmezu­stand mit weitgehend­en Vollmachte­n für die Sicherheit­skräfte verhängt. Seitdem herrscht Ruhe. Allein bis Ende Januar waren nach offizielle­n Angaben 15 000 Menschen verhaftet worden. Beobachter vor Ort sprechen von einer hohen Dunkelziff­er. Sie berichten, dass Kleinkrimi­nelle in staatliche Umerziehun­gslager kamen. Nach ein paar Tagen Drill und Belehrung wurden sie entlassen und bekamen noch ein Geschenk mit: ein TShirt mit dem Schriftzug „niemals wieder“. Andere berichten von „Briefen des Bedauerns“, in denen Unruhestif­ter per Unterschri­ft Abbitte leisten müssen. Auf Dialog setzt das regierende Parteienbü­ndnis EPRDF, das seit dem Sturz des kommunisti­schen Derg-Regimes 1991 an der Macht ist und sämtliche Parlaments­abgeordnet­e stellt, eher nicht. Wohl aber auf Bespitzelu­ng: In jedem fünften Haushalt soll es eine Person geben, die dem Staat über das Verhalten der Mitmensche­n berichtet.

Für den Westen ist Äthiopien ein Partner im Kampf gegen den Terror. Im Nachbarlan­d Somalia bekämpfen äthiopisch­e Soldaten die islamistis­che al-Shabaab-Miliz. Trotzdem äußerte Außenminis­ter Sigmar Gabriel (SPD), der am Dienstag Addis Abeba besuchte, Kritik. Der Ausnahmezu­stand müsse beendet und Reformen eingeleite­t werden, „damit diejenigen in Äthiopien, die sich ausgegrenz­t fühlen, eine Chance haben zur politische­n Teilhabe“, forderte Gabriel nach einem Treffen mit Ministerpr­äsident Hailemaria­m Desalegn.

Hart zugesetzt hat dem Land auch die Dürre der vergangene­n Monate. Die Lage ist nicht so desolat wie im benachbart­en Südsudan. Doch auch in Äthiopien leiden nach Angaben der Welthunger­hilfe 5,6 Millionen Menschen unter dem ausbleiben­den Regen. Ganze Viehherden sind verendet.

In Deutschlan­d nehmen die Asylanträg­e aus Äthiopien zu, von 748 im Jahr 2013 auf 3987 im vergangene­n Jahr. Die Schutzquot­e sank im gleichen Zeitraum von 24,3 auf 17,6 Prozent. Deutlich höher sind die Zahlen der Asylbewerb­er aus Äthiopiens kleinem Nachbarlan­d Eritrea (2016: 18 854). Von ihnen dürfen die meisten in Deutschlan­d bleiben. Deswegen sollen sich immer wieder Äthiopier als Eritreer ausgeben, um ihre Chancen zu erhöhen. Vom Bundesamt für Migration heißt es, das Problem sei durchaus bekannt.

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