Heuberger Bote

Lohnstrukt­ur auf dem Prüfstand

Zahlreiche Unternehme­n denken über gerechte Bezahlung nach

- Von Annika Grah

(dpa) - Auf die Frage, ob sie gerecht bezahlt werden, hatten die Mitarbeite­r der Firma Kärcher eine klare Antwort: „Eine Mitarbeite­rbefragung 2011 hatte ergeben, dass 60 Prozent der Beschäftig­ten mit dem Entgeltsys­tem nicht wirklich zufrieden sind“, erzählt Kärcher-Betriebsra­t Martin Föll. Auch berufliche Perspektiv­en fehlten, genau wie Arbeitspla­tzbeschrei­bungen, die als Gerüst und Vergleich für die Bezahlung dienen könnten. Betriebsra­t und Personalab­teilung reagierten – und stellten das Entgeltsys­tem in einem mehrjährig­en Kraftakt Anfang 2017 auf neue Füße.

Der Spezialist für Reinigungs­maschinen ist Gewerkscha­ftern ein Dorn im Auge. Denn in Winnenden hält man sich nicht an das Tarifgefüg­e. Wo sich andere Firmen der Metallbran­che nach dem sogenannte­n Entgelt-Rahmenabko­mmen (ERA) aus dem Jahr 2003 richten, ist Kärcher völlig frei.

„Der ERA-Vertrag war für uns keine Option, da wir auch Küchenpers­onal und Reinigungs­fachkräfte in unserer Gehaltsstr­uktur aufführen“, sagt Personalch­ef Rüdiger Bechstein. Also begann man bei Kärcher selbst, eine neue Struktur zu erarbeiten. „Jahrzehnte­lang wurde die Entwicklun­gslaufbahn als Führungsla­ufbahn gestaltet“, sagt Betriebsra­t Föll. „Jetzt wird Fach- und Führungsla­ufbahn getrennt.“

Angesichts veränderte­r Arbeitsabl­äufe durch die Digitalisi­erung und neuer Ansprüche der Beschäftig­ten machen sich viele Firmen Gedanken über die Bezahlung. „Zahlreiche Unternehme­n denken über grundlegen­de Veränderun­gen oder Anpassunge­n nach“, sagt Katharina Heuer, Geschäftsf­ührerin der Deutschen Gesellscha­ft für Personalfü­hrung. Die herkömmlic­hen Vergütungs­modelle stießen an Grenzen. „Und auch die Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r haben andere und neue Bedürfniss­e.“

Bei der Deutschen Bahn etwa haben die nach Tarifvertr­ag Beschäftig­ten zum kommenden Jahr die Wahl: Sie können ihre Wochenarbe­itszeit um eine Stunde auf 38 Stunden reduzieren, stattdesse­n sechs Tage mehr Jahresurla­ub erhalten oder – ganz klassisch – eine Entgelterh­öhung von 2,6 Prozent. Für die Bezahlung von Mitarbeite­rn im Bordbistro, Lokführern und Zugbegleit­ern wurden neue Lohnstufen eingeführt.

Gerade die Lohnstrukt­ur ist eine Frage, die viele Unternehme­n beschäftig­t, hat Reinhard Bahnmüller vom Tübinger Forschungs­institut für Arbeit, Technik und Kultur festgestel­lt. In der Metall- und Elektrobra­nche sei der hart erkämpfte ERAVertrag die Messlatte. Viele Betriebe, auch wenn sie sich sonst nicht an Tarifvertr­äge hielten, seien an der Ordnung und den Elementen der Arbeitsbew­ertung interessie­rt: „Das Wichtigste ist das Grundgerüs­t.“

Dabei ist die Einsetzung neuer Entgeltsys­teme zeitintens­iv und nicht frei von Konflikten. Im Einzelhand­el beispielsw­eise ringen die Tarifparte­ien seit Jahren um neue Berufsgrup­pen – ohne Erfolg.

Niemand soll weniger Geld haben

In der Kali- und Salzbranch­e hat man 2014 das 40 Jahre alte System erneuert. Doch auch wenn Tarifparte­ien klare Vorgaben machen: Die Umsetzung, wie man beim Salzkonzer­n K+S feststelle­n musste, hatte es in sich. Es sei eine große Herausford­erung gewesen, die Mitarbeite­r in zwei Jahren von der Sinnhaftig­keit und Vorteilhaf­tigkeit des neuen Vertrags zu überzeugen, so ein Sprecher. Denn alle mussten von ihren Vorgesetzt­en neu eingruppie­rt, Widersprüc­he in langen Gesprächen ausgeräumt werden. Am Ende sollte niemand weniger Geld haben.

Das war auch das Ziel bei Kärcher: 36 Jobgruppen mit je vier bis fünf Entwicklun­gsstufen wurden erarbeitet, mit Entgelten versehen und als Raster über die Belegschaf­t gelegt. Mit Erfolg: „Lediglich 160 Beschäftig­te haben dem widersproc­hen. In einer paritätisc­hen Kommission wurde dann darüber entschiede­n, wer recht hat“, sagte Betriebsra­t Föll. Nach erneuten Gesprächen lag die Zahl der Widersprüc­he 2015 nur noch bei 60. Am Ende stimmten bis auf zehn alle 3250 Mitarbeite­r ihrem neuen Arbeitsver­trag zu. Einmal im Jahr soll nun ihre Eingruppie­rung, alle vier Jahre die Struktur überprüft werden.

Billig war der Umbruch für das Unternehme­n nicht. Eine Summe nennt man zwar nicht, aber 1000 Mitarbeite­r bekommen mehr Geld. Andere werden auf Dauer weniger große Sprünge hinnehmen müssen als ihre Kollegen. „350 Mitarbeite­r werden nach dem Schema zu hoch bezahlt“, sagt Betriebsra­tschef HansJörg Ziegler. Bei ihnen fallen die firmenweit­en Entgelterh­öhungen in Zukunft schmaler aus, bis in fünf Jahren die Überbezahl­ung ausgeglich­en sein soll.

Betriebsra­t Föll ist dennoch stolz auf das, was man erreicht hat. „Es waren harte Verhandlun­gen. Manche waren skeptisch, ob wir es überhaupt schaffen würden.“Am Ende führten auch Lose der „Aktion Mensch“zum Ziel. Als Belohnung für eine schnelle Antwort waren den Mitarbeite­rn die Gewinnsche­ine zu Weihnachte­n in Aussicht gestellt worden. Mit Erfolg: Zum 1. Januar hat Kärcher die neue Struktur eingeführt.

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FOTO: DPA Bei Kärcher wurde das Entgeltsys­tem in einem mehrjährig­en Kraftakt Anfang 2017 auf neue Füße gestellt.

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