„Es wird viel mehr geregelt“
Über 300 Zuhörer informieren sich über die neue Medizinprodukteverordnung
- Über 300 Zuhörer haben sich am Mittwochabend in der Tuttlinger Stadthalle über die neue Medizinprodukteverordnung, die Anfang Juni in Kraft tritt, informiert. Dabei betonten die Referenten unisono, wie wichtig es sei, schon jetzt mit der Umsetzung der neuen Verordnung zu beginnen, trotz der dreijährigen Übergangsphase, die die EU einräumt.
500 Seiten umfasst die neue Verordnung. Zum Vergleich: Die bisherige Gesetzeslage ist auf 65 Seiten festgeschrieben. „Es wird viel mehr geregelt“, sagte Yvonne Glienke, Vorsitzende von Medical Mountain, die den Abend moderierte. Vor allem im Bereich der Zertifizierung und der Erfassung. Laut Bürgermeister Emil Buschle seien durch diese neue Vorgaben vor allem die mittelständischen Unternehmen gefährdet. Und diese machten die Mehrheit der rund 400 Unternehmen in und um Tuttlingen aus. „Es sind die Unternehmen, die Tuttlingen ausmachen, für die Tuttlingen nicht nur ein Standort von vielen ist.“
Als erstes direkt von der neuen Verordnung betroffen, sind aber die Benannten Stellen. Diese wirken entscheidend an der Zulassung von Medizinprodukten mit. Harald Rentschler von der MDC, einer international tätigen Benannten Stelle, betonte, dass es in Zukunft zu deutlichen Engpässen kommen könnte. Zum einen müssten Benannte Stellen neu anerkannt werden. Seiner Einschätzung zufolge werde das erst Ende 2018, Anfang 2019 der Fall sein. Das führe dazu, dass die Benannten Stellen etwa die Hälfte der Übergangszeit handlungsunfähig seien. Zum anderen müssten das alte und das neue System in der Übergangszeit parallel laufen. Das führe zu einem deutlichen Mehraufwand pro Kunde. Zwar sei man schon dabei, das Personal aufzustocken, es werde sicherlich dennoch zu Kapazitätsengpässen kommen. Und natürlich habe das auch Auswirkungen für die Unternehmen, für die sich dadurch die Kosten in etwa verdoppeln würden, schätzt Rentschler.
Auswirkungen wird es auch auf den Fachkräftemarkt geben. „Die laufen nicht frei rum, die muss man teuer abwerben oder man schafft Synergien“, fasste es Michael Eberhard, Entwicklungsleiter bei Rudolf Medical, zusammen. Heißt: Der Konkurrenzkampf um qualifizierte Mitarbeiter zwischen Unternehmen und Benannten Stellen werde sich weiter verschärfen.
Verschärfen wird sich die Situation auch im Bereich der Technischen Dokumentation. „Die wird deutlich komplexer“, sagte Rentschler. Die Anforderungen würden deutlich steigen. Allein im Bereich Produktbeschreibung werde es 14 Unterpunkte geben. Auch müsse die Gebrauchsanweisung künftig in allen Sprachen vorgehalten werden, die in den Staaten, in denen das Produkt
Emil Buschle über mittelständische Unternehmen
verkauft wird, akzeptiert werden. Um nur einige wenige Beispiele zu nennen.
Auf den Prüfstand steht auch das sogenannte OEM-PLM-Verhältnis, das vor allem in Deutschland weit verbreitet ist. Demnach entwickelt der OEM (Original Equipment Manufacturer) das Produkt, führt das Konformitätsbewertungsverfahren durch und hält die erforderlichen Unterlagen vor. Danach übernimmt der PLM (Private Label Manufacturer) das fertige Produkt und tritt als verantwortlicher Hersteller auf. Doch laut Jan Henning Martens, Rechtsanwalt aus Freiburg, wolle die EU mit der neuen Verordnung aber einen verantwortlichen Hersteller, der alles steuert.
Karl-Heinz Fischer, Geschäftsführer von Fischer QMS, glaubt daher nicht daran, dass sich das OEM-PLMModell „in dieser Form weiterführen“lasse.
„Es sind die Unternehmen, die Tuttlingen ausmachen, für die Tuttlingen nicht nur ein Standort von vielen ist.“