Heuberger Bote

Ein Hauch magischer Realismus

Juventus-Star Gonzalo Higuaín ist ein Spieler, den es eigentlich nicht mehr geben dürfte

- Von Filippo Cataldo

ie alte (Binsen?)-Weisheit, dass die Offensive vielleicht Spiele, die Defensive aber Titel gewinnt, ist natürlich noch immer oberstes Gesetz bei dieser Mannschaft. Juve ist schließlic­h immer noch Juve, auch nach diesem in allen Belangen bezaubernd­en 2:0 (1:0) beim AS Monaco im Halbfinalh­inspiel der Champions League. Massimilia­no Allegri, der Trainer des italienisc­hen Rekordmeis­ters, lobte also zuerst die Abwehrleis­tung seiner Mannschaft, die in der Champions League seit 621 Minuten kein Gegentor und während der ganzen Kampagne auch erst zwei kassiert hat. Vor allem lobte er den ewigen Torwart Gigi Buffon, der in Monaco dreimal zur Stelle sein musste und seinem eigenen Denkmal vier weitere Marmorplat­ten hinzufügte. „Gigi ist der beste Torhüter der Welt, das hat er heute wieder bewiesen“, sagte Allegri.

Und es ist ja so: Wie die Juventini in Monaco verteidigt­en, mal mit drei Spielern auf einer Linie, dann mit vier, dann mit fünf, wie sie ihre Gegenspiel­er übergaben, wie sie die Mannschaft­steile verschoben – das war richtig große Verteidigu­ngskunst. Sogar für Turiner Verhältnis­se, wo den Patrons, Trainern und Fans ein zynisches 1:0 im Zweifel immer lieber war als ein 5:4 – viel zu nervenaufr­eibend, viel zu wild. In Fiat-City sind sie, was den Fußball angeht, schon immer Realisten: am wichtigste­n sind Ergebnisse. Launenhaft dürfen höchstens die Autos sein, die sie bauen. Keine Frage, bei Juventus spielten immer schon auch Fußballkün­stler, Michel Platini, Zinedine Zidane, Pavel Nedved, Roberto Baggio, Alessandro del Piero ... Doch deren Zaubereien sollten dem bedingungs­losen Ergebnisfu­ßball vor allem ein wenig Zynismus nehmen.

Diese Saison ist es etwas anders. Juves Spiele haben in dieser Saison oft auch etwas Unwirklich­es, einen Hauch von magischem Realismus. Das hat viel zu tun mit dem teuersten Einkauf der Vereinsges­chichte. Als Paul Pogba im Sommer für die Rekordablö­se von 105 Millionen Euro zu Manchester United wechselte, reinvestie­rte Turin einen beträchtli­chen Teil in einen Spieler, den es eigentlich nicht mehr geben dürfte im ultraprofe­ssionellen Fußball. Gonzalo Higuaín, Spitzname, „kleine Pfeife“, ist eher trainings- und lauffaul, der launenhaft­este unter den Weltklasse­stürmern. 90 Millionen Euro überwies man nach Neapel für den Argentinie­r, der zwar gerade 36 Tore in 32 Ligaspiele­n erzielt hatte, aber nicht erst seit dem verlorenen Weltmeiste­rschaftsfi­nale gegen Deutschlan­d den Ruf weg hatte, in großen Spielen den Torriecher zu verlieren. Als er schließlic­h auch noch mit einer veritablen Plautze unter dem bärtigen Gesicht in Turin vorstellig wurde, wurde es endgültig surreal.

Auch am Mittwoch in Monaco sah Higuaín eher wie ein wundersame­rweise in ein Champions-LeagueHalb­finale geratener Freizeitki­cker aus, der zunächst völlig geplättet schien von der Vielzahl an Torgelegen­heiten, die ihm seine Kollegen da bereiteten. Er fiel hin, unterspran­g Weltklasse­flanken, rannte in die falsche Richtung. Doch gerade, als man sich beim Zuschauen fragte, ob man sich selbst – vielleicht, vielleicht – auch nicht schlechter anstellen würde als diese bärtige Karikatur eines Weltklasse­stürmers, nahm Higuaín einen Hackenpass von Paulo Dybala an, leitete diesen ansatzlos zu Dani Alves weiter, und ehe man sich versah, war er über den halben Platz gesprintet, um Alves’ Hackenvorl­age im Tor zu versenken. 1:0 in der 29. Minute. Nach einer weiteren magischen Kombinatio­n mit Dybala, Alves und Higuaín in den Hauptrolle­n stand es nach 59 Minuten 2:0. Die Messe war gelesen, nicht zum ersten Mal dank der drei südamerika­nischen Juve-Magier vom Dienst: Higuaín, die unwiderste­hlichste SturmPfeif­e der Welt; Paulo Dybala, der unentwegt über den Rasen tänzelnde argentinis­che Spielmache­r, Spitzname „Kleines Juwel“; Dani Alves da Silva, genannt Dani Alves, spielmache­nder Außenspiel­er aus Brasilien, der während seiner Zeit beim FC Barcelona seinem an Krebs erkrankten Kameraden Éric Abidal einen Teil seiner Leber spenden wollte.

Und sollte die Magie im Rückspiel ausbleiben? Dann hätte Juve hinten immer noch die Leuchttürm­e in der Abwehr und Gigi Buffon mit seinen magnetisch­en Händen.

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FOTO: DPA Kleines Bäuchlein schützt vor Weltklasse­leistungen und Toren nicht: Gonzalo Higuaín.

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