Ein Hauch magischer Realismus
Juventus-Star Gonzalo Higuaín ist ein Spieler, den es eigentlich nicht mehr geben dürfte
ie alte (Binsen?)-Weisheit, dass die Offensive vielleicht Spiele, die Defensive aber Titel gewinnt, ist natürlich noch immer oberstes Gesetz bei dieser Mannschaft. Juve ist schließlich immer noch Juve, auch nach diesem in allen Belangen bezaubernden 2:0 (1:0) beim AS Monaco im Halbfinalhinspiel der Champions League. Massimiliano Allegri, der Trainer des italienischen Rekordmeisters, lobte also zuerst die Abwehrleistung seiner Mannschaft, die in der Champions League seit 621 Minuten kein Gegentor und während der ganzen Kampagne auch erst zwei kassiert hat. Vor allem lobte er den ewigen Torwart Gigi Buffon, der in Monaco dreimal zur Stelle sein musste und seinem eigenen Denkmal vier weitere Marmorplatten hinzufügte. „Gigi ist der beste Torhüter der Welt, das hat er heute wieder bewiesen“, sagte Allegri.
Und es ist ja so: Wie die Juventini in Monaco verteidigten, mal mit drei Spielern auf einer Linie, dann mit vier, dann mit fünf, wie sie ihre Gegenspieler übergaben, wie sie die Mannschaftsteile verschoben – das war richtig große Verteidigungskunst. Sogar für Turiner Verhältnisse, wo den Patrons, Trainern und Fans ein zynisches 1:0 im Zweifel immer lieber war als ein 5:4 – viel zu nervenaufreibend, viel zu wild. In Fiat-City sind sie, was den Fußball angeht, schon immer Realisten: am wichtigsten sind Ergebnisse. Launenhaft dürfen höchstens die Autos sein, die sie bauen. Keine Frage, bei Juventus spielten immer schon auch Fußballkünstler, Michel Platini, Zinedine Zidane, Pavel Nedved, Roberto Baggio, Alessandro del Piero ... Doch deren Zaubereien sollten dem bedingungslosen Ergebnisfußball vor allem ein wenig Zynismus nehmen.
Diese Saison ist es etwas anders. Juves Spiele haben in dieser Saison oft auch etwas Unwirkliches, einen Hauch von magischem Realismus. Das hat viel zu tun mit dem teuersten Einkauf der Vereinsgeschichte. Als Paul Pogba im Sommer für die Rekordablöse von 105 Millionen Euro zu Manchester United wechselte, reinvestierte Turin einen beträchtlichen Teil in einen Spieler, den es eigentlich nicht mehr geben dürfte im ultraprofessionellen Fußball. Gonzalo Higuaín, Spitzname, „kleine Pfeife“, ist eher trainings- und lauffaul, der launenhafteste unter den Weltklassestürmern. 90 Millionen Euro überwies man nach Neapel für den Argentinier, der zwar gerade 36 Tore in 32 Ligaspielen erzielt hatte, aber nicht erst seit dem verlorenen Weltmeisterschaftsfinale gegen Deutschland den Ruf weg hatte, in großen Spielen den Torriecher zu verlieren. Als er schließlich auch noch mit einer veritablen Plautze unter dem bärtigen Gesicht in Turin vorstellig wurde, wurde es endgültig surreal.
Auch am Mittwoch in Monaco sah Higuaín eher wie ein wundersamerweise in ein Champions-LeagueHalbfinale geratener Freizeitkicker aus, der zunächst völlig geplättet schien von der Vielzahl an Torgelegenheiten, die ihm seine Kollegen da bereiteten. Er fiel hin, untersprang Weltklasseflanken, rannte in die falsche Richtung. Doch gerade, als man sich beim Zuschauen fragte, ob man sich selbst – vielleicht, vielleicht – auch nicht schlechter anstellen würde als diese bärtige Karikatur eines Weltklassestürmers, nahm Higuaín einen Hackenpass von Paulo Dybala an, leitete diesen ansatzlos zu Dani Alves weiter, und ehe man sich versah, war er über den halben Platz gesprintet, um Alves’ Hackenvorlage im Tor zu versenken. 1:0 in der 29. Minute. Nach einer weiteren magischen Kombination mit Dybala, Alves und Higuaín in den Hauptrollen stand es nach 59 Minuten 2:0. Die Messe war gelesen, nicht zum ersten Mal dank der drei südamerikanischen Juve-Magier vom Dienst: Higuaín, die unwiderstehlichste SturmPfeife der Welt; Paulo Dybala, der unentwegt über den Rasen tänzelnde argentinische Spielmacher, Spitzname „Kleines Juwel“; Dani Alves da Silva, genannt Dani Alves, spielmachender Außenspieler aus Brasilien, der während seiner Zeit beim FC Barcelona seinem an Krebs erkrankten Kameraden Éric Abidal einen Teil seiner Leber spenden wollte.
Und sollte die Magie im Rückspiel ausbleiben? Dann hätte Juve hinten immer noch die Leuchttürme in der Abwehr und Gigi Buffon mit seinen magnetischen Händen.