Naturschützer kontra Wohnraum-Allianz
Nabu und BUND fühlen sich übergangen und denken über Ausstieg nach
- Baden-Württembergs Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU) will Bauverfahren im Land beschleunigen und so den Wohnraummangel eindämmen. Für eine Entschlackung der Landesbauordnung möchte sie auch Umweltund Artenschutzbestimmungen – im Einklang mit dem Naturschutzrecht – auf den Prüfstand stellen. Vertreter von Natur- und Umweltschutzverbänden, die Teil einer von Hoffmeister-Kraut einberufenen Wohnraum-Allianz sind, sorgen sich um ein Aufweichen ökologischer Vorschriften – sie denken über einen Ausstieg aus dem Gremium nach.
„Wir wollen nicht das grüne Feigenblatt dafür sein, wenn wesentliche Umweltstandards im Baurecht geschliffen werden“, sagte Johannes Enssle, Landesvorsitzender des Naturschutzbundes Nabu, am Dienstag im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“. „Eine Aufweichung des Naturschutzes ist absolutes Ziel dieser Allianz.“Dabei sei diese „angetreten, um Dinge im Konsens miteinander zu diskutieren“.
Kritik am Gutachten
Hintergrund ist ein Streit um ein Rechtsgutachten, das das Gremium bei einer Sitzung am Montagabend verabschiedet hat. Damit sollen Auflagen beim Umwelt- und Artenschutz überprüft werden, um Genehmigungsverfahren beim Bau zu beschleunigen. Insbesondere ein Passus in dem Beschluss ist umstritten: Der Hinweis, das Gutachten sei „unter Berücksichtigung der umwelt-, natur-, und artenschutzrechtlichen Vorgaben“durchzuführen, ist lediglich als Protokollnotiz vermerkt – jedoch nicht Teil der Empfehlung.
„Bei einem Gremium, das aus bis zu 60 Teilnehmern besteht – wobei drei aus dem Umweltbereich kommen – sehen wir das sehr kritisch. Wir Umweltverbände überlegen daher, ob wir den Prozess verlassen“, erklärte der Nabu-Chef. Das bemängelt auch Brigitte Dahlbender, Landesvorsitzende des BUND BadenWürttemberg. „Wenn man andere Meinungen in der Allianz nicht mehr diskutieren kann, sondern seine Meinung lediglich als Kommentar vertreten sieht, dann habe ich schwere Bedenken, ob das noch Sinn macht.“Solle sich in den kommenden Sitzungen bestärken, was am Montag begonnen habe, werde sie „eine Entscheidung treffen müssen“, so Dahlbender.
Das vom Grünen Franz Untersteller geführte Umweltministerium sieht den Vorstoß HoffmeisterKrauts hingegen „entspannt“, wie ein Ministeriumssprecher am Dienstag der „Schwäbischen Zeitung“sagte. „Es geht um das Zusammenspiel von Artenschutzrecht und Bauleitplanung. Von einer Aufweichung des Artenschutzrechts zugunsten der Bauleitplanung ist nicht die Rede, so ist das auch nicht gemeint.“Das Artenschutzrecht sei geltendes Europaund Bundesrecht und bindend. „Verwaltungsabläufe, auf der Basis dieses Rechts zu optimieren, begrüßen wir.“
Zustimmung von Verbänden
Das sehen die Vertreter der kommunalen Spitzenverbände ähnlich. Sie wollen weiterhin mit den Umweltschützern zusammenarbeiten. „Der Artenschutz ist uns natürlich wichtig. Aber wir müssen auch andere Interessen im Blick haben“, sagte Gerhard Mauch, Dezernent beim Städtetag Baden-Württemberg. „Wir benötigen neuen Wohnraum, und das zügig. Dafür ist es wichtig, dass Planungsund Genehmigungsverfahren rascher ablaufen – deswegen muss zusammen mit den Naturschutzverbänden geprüft werden, wie die Verfahrensabläufe optimiert werden können.“
Auch Gemeindetagspräsident Roger Kehle (CDU) lobt die Empfehlungen. „Die Bürgerinnen und Bürger, und damit auch die kommunalpolitisch Verantwortlichen vor Ort, wollen und werden auch weiterhin verantwortungsvoll mit unserer Natur umgehen“, sagte Kehle. „Aber wir müssen einen Weg finden, um für die Bedürfnisse der Menschen und gleichzeitig für vernünftigen Naturschutz mit Augenmaß zu sorgen.“Dafür müssten jedoch einige Standards auf den Prüfstand, so Kehle.
Grund für eine Überprüfung von Natur- und Artenschutzbestimmungen sei, dass diese sich „oft auf die Verfahrensdauer von Bauleitplanverfahren auswirken“, wie es in einer Erklärung aus dem Wirtschaftsministerium heißt. Daher solle nun das „Zusammenspiel von Naturschutzrecht und Bauleitplanung nach Möglichkeiten zur beschleunigten Ausweisung von Baugebieten gutachterlich untersucht und bewertet werden“. Auch die Änderung der sogenannten Plausibilitätshinweise solle den Gemeinden das Bauen erleichtern. Mit diesen müssen sie nachweisen, dass ein tatsächlicher Bedarf an neuem Wohnraum vorhanden ist.
Teile der Landesbauordnungsreform, die die damalige grün-rote Landesregierung 2014 beschlossen hatte, sollen damit rückgängig machen. Dazu gehöre die Pflicht für Bauherren, Fahrradstellplätze zu errichten und Dächer und Fassaden zu begrünen, sollten keine Grünflächen vorhanden sein. Daneben solle eine „Handreichung“erstellt werden. Diese solle Möglichkeiten zur Beschleunigungen von Baungenehmigungsverfahren aufzeigen, die im Rahmen des geltenden Artenschutzes und Europarechts stehen.