Zeit für Zärtlichkeit
Neuer Tanzabend am Theater Ulm
- Eine „Sinfonia del Beso“, eine Kuss-Sinfonie, gibt es eigentlich nicht: Der Titel des großen BallettAbends dieser Spielzeit setzt sich zusammen aus den Themen der beiden beteiligten Choreografen. Roberto Scafati schuf ein knapp einstündiges, elegisch-dramatisches Ballett, basierend auf Henryk Mikolaj Góreckis 3. Sinfonie, der „Sinfonie der Klagelieder“. Gustavo Ramírez Sansano widmet sich in seiner Arbeit „El Beso“den Erscheinungsformen des Kusses. Und dazwischen, kurz, aber eindrucksvoll, gibt es eine Szene um zwei Tänzer, bei der sich Cellistin Anne Schumacher in die Herzen der Zuschauer spielt.
„2 and 1 for Mr. B“ist ein klassischer Pas de deux, wunderschön getanzt von Damien Nazabal und Bogdan Muresan. Beide Tänzer stehen für das „2“im Titel; das „1“meint das Solo-Cello Anne Schumachers; sie spielt Musik von Luis Felipe Serrano García. Doch die Hommage an den 1983 verstorbenen russischen Choreografen George Balanchine ist nicht ohne Ironie: Dieser war der Überzeugung, dass nur Frauen wirklich ästhetisch-poetisch tanzen können. Ramírez Sansano ersetzt die Tänzerinnen ganz bewusst durch Männer, um deren Ästhetik zu beweisen.
Hochdramatisch, sehr emotional
Der Ulmer Ballettchef hat Góreckis „Sinfonie der Klagelieder“choreografiert: drei Szenen, in denen Mütter ihre Kinder loslassen müssen, weil sie eines gewaltsamen Todes sterben. Maria Rosendorfsky singt die Klagelieder – hoch dramatisch, sehr emotional.
Doch es gibt auch Entspannendes an diesem Abend: spanische Zarzuelas: Die Tänzerinnen und Tänzer des Ballettensembles treten in Alltagskleidung auf und interpretieren vor schwarzem Hintergrund schattenrissartig und humorvoll überzogen die Vielfalt der sozialen und kulturellen Aspekte des Küssens. Die Choreografie nimmt die Bussi-Bussi-Gesellschaft aufs Korn. Und der leidenschaftliche, der erotische Kuss? Der ist auch in „El Beso“zwei Männern vorbehalten: Die Leidenschaft findet – gespielt – zwischen Damien Nazabal und Alessio Pirrone statt.