Gefangene
Das Kind auf dem Arm, im Hintergrund das Meer: Das Foto der in der Türkei inhaftierten Journalistin Mesale Tolu, das ihre Freunde in diesen Tagen an die Medien weitergeben, zeigt eine glückliche Mutter mit ihrem Sohn. Ein Foto aus guten, aus viel besseren Zeiten. Seit zehn Tagen sitzt Tolu in einem Frauengefängnis in der Nähe von Istanbul. Der Vorwurf: „Terrorpropaganda und Mitgliedschaft in einer Terrororganisation.“
Die heute 33-jährige Übersetzerin und Journalistin stammt aus Ulm: Ihr Vater, von Beruf Automechaniker, kam in den 1970er-Jahren nach Deutschland, gründete hier seine Familie. Zusammen mit ihrem Bruder und ihrer Schwester wuchs Tolu in Ulm auf, legte dort ihr Abitur ab. Zum Studium ging sie nach Frankfurt am Main: Sie wollte Lehrerin für Ethik und Spanisch werden.
„Mesale Tolu hat ein ausgesprochen angenehmes Wesen, war immer freundlich und hat sich stets für andere engagiert“, berichtet Cengiz Dogan, ein Bekannter der Familie Tolu. Das Engagement führte zu Kontakten zu zahlreichen Initiativen. Sie habe sich unter anderem beim Bund Sozialistischer Frauen und der Föderation der ArbeitsmigrantInnen in Deutschland e.V. engagiert.
Und Mesale Tolu fühlt sich als Deutsche: 2007 erhielt sie die deutsche Staatsbürgerschaft, ihre türkische Staatsbürgerschaft legte sie danach ab. Nach der Geburt ihres Sohnes im Jahr 2014 zog sie gemeinsam mit ihrem Mann, der ebenfalls in Haft sitzt, nach Istanbul, wo sie für den regionalen Radiosender „Özgür Radyo“arbeitete. Nach dessen Schließung arbeitete sie bis zu ihrer Inhaftierung für die linksgerichtete Agentur Etha als freiberufliche Übersetzerin. Mesale Tolus Bruder Hüseyin Tolu ergänzt: „Immer wieder ist sie zu ihrer Familie nach NeuUlm gekommen: „Sie war ja in Elternzeit!“
Urlaubsfotos wird es vielleicht für längere Zeit nicht geben, auch vermisst Sohn Serkan seine Mutter sehr. Baki Selcuk, der ein Freund der Familie ist, berichtet: „Der kleine Bub wacht auf und schreit nachts nach seiner Mama. Er versteht die Situation nicht. Wie auch? Die ist ja auch schwer zu erklären.“Ludger Möllers