Eine Frage von Geld und Vertrauen
„Was ist die Alternative?“VfB-Chef Dietrich wirbt in Ehingen für die Ausgliederung
- Neunzig Minuten lang hatte der 68-jährige Wolfgang Dietrich plädiert, so wie einst, als er Sprecher von Stuttgart 21 war, und irgendwie ist das ja auch dasselbe: Ob man den Verkehr rund um die Landeshauptstadt modernisiert oder als Vereinspräsident den Fußball beim VfB, beides ist eine Herkulesaufgabe. Dann aber meldete sich ein junger Mann aus Biberach zu Wort, der die Ausgliederung der Profi-Abteilung des Zweitliga-Tabellenführers offenbar eher kritisch sieht. Das Fanclub-Mitglied von den Mad Beavers wünschte sich nach den negativen Erfahrungen mit dem Führungspersonal des VfB in den letzten zehn Jahren eine Art dreijährige Probezeit für Dietrich und Manager Jan Schindelmeiser, „mehr Beständigkeit“, und daran sieht man, das es mit dem Vertrauen im Fußball manchmal noch schwerer ist als in der Liebe. Kein vernünftiger Mensch würde sich eine dreijährige Probezeit für die Freundin ausbedingen, und man muss Dietrich verstehen, dass ihm fast die nichtvorhandene Hutschnur platzte: „Dann nennen Sie mir eine Alternative. Ich sehe mich außerstande, ohne Ausgliederung unsere Ziele umzusetzen. Die Abstimmung muss jetzt kommen, aber ich verspreche, bei einem Nein werde ich sie bis Ende meiner Amtszeit nicht mehr auf die Agenda setzen“, sagte der VfB-Chef. Ein Rumeiern aber lähme und blockiere den Verein nur.
Die Vision heißt Europacup
Keine Frage, da hat es jemand eilig, und wer Dietrich vor 280 Zuschauern im Ehinger Business-Park zuhört, der spürt gleich, dass er kein Zauderer ist, auch kein geduldiger, fast naiver Pädagoge wie sein Vorgänger Bernd Wahler, der mit einer Engelsgeduld in zahllosen Grassroots-Workshops in den Regionen versuchte, auch den letzten Fan zu überzeugen, ehe die Wahl und Wahler am Abstieg scheiterten. Nein, Dietrich ist ein Mann der Tat, der vollendeten Tatsachen, ein Mann mit klarem Plan, der sich nicht damit zufriedengeben will, Chef eines Ausbildungsoder Fahrstuhlvereins zu sein. In drei Jahren soll der VfB wieder Platz sechs anpeilen und mit seiner Jugendarbeit wieder an der deutschen Spitze sein, hat Dietrich verkündet. Das aber sei nur realistisch, wenn der Personaletat der Profis auf Höhe der Mitbewerber im ersten BundesligaDrittel liege, also von derzeit 25 auf etwa 70 Millionen Euro steige. Das wiederum sei nur (noch) mit einer Ausgliederung machbar. Dafür kämpft Dietrich nun mit etwa 40 Vorträgen im Land, ehe am 1. Juni bei der Mitgliederversammlung in der MercedesBenz-Arena das Urteil fällt. Eine 75Prozent-Mehrheit braucht Dietrich, etwa 35 Prozent der 420 Stuttgarter Fanclubs seien klar pro, schätzt er, etwa 15 Prozent klar dagegen.
Zu verlieren hat der VfB im Prinzip nichts. Daimler will als Anker-Investor für 11,75 Prozent der AG-Anteile bei einem Aufstieg sofort 41,5 Millionen Euro zahlen, drei, vier weitere Partner sollen bis in zwei Jahren weitere 59 Millionen beisteuern. 24,9 Prozent der AG wären damit in Investoren-Hand, eine Sperrminorität hätten die Teilhaber allerdings nicht, der VfB wäre weiter Herr seines Schicksals. Insgesamt 240 Millionen Euro zusätzlich brauche man bis 2020, um auf den nötigen Personaletat zu kommen, sagt Dietrich, die fehlenden 140 erhofft sich der VfB von gestiegenen Marketing-, TV-, und Sponsoreneinnahmen.
Bei einem Verbleib in Liga zwei würde Daimler für fünf Prozent der Anteile zunächst 10,5 Millionen zahlen und später aufstocken. „In der zweiten Liga“, sagt Dietrich, „brauchen wir das Geld noch viel dringender.“Abstürze von Traditionsvereinen wie Essen oder 1860 München seien Warnung genug. Ohne Zusatzgeld und vor allem Perspektive dürfte der VfB seine Anführer Simon Terodde und Daniel Ginczek auch kaum in der 2. Liga halten können, feste Verpflichtungen der Leihgaben Carlos Mané, Josip Brekalo und Takuma Asano seien ohne AG ebenfalls undenkbar, sagt Dietrich. In dem Fall würde der VfB mit einem Personaletat von etwa 40 Millionen Euro für die erste Liga planen – „aber wesentlich weniger Spielraum für Verstärkungen“.
Millionen für die Jugend
Starke Neuzugänge, nötig vor allem für die Abwehr- und Defensivzentrale und die Rechtsverteidigerposition, wird also nur der Daimler-Einstieg möglich machen. Als Sofortmaßnahme werden zudem fünf Millionen Euro in die Jugend-Infrastruktur fließen. Bis zum Winter soll der marode, steinalte Hartplatz saniert werden, zudem auch ein zweiter Rasenplatz mit einer Heizung bestückt werden. Noch immer sei der VfB im Jugendbereich weit entfernt von den Anführern Schalke, Hoffenheim oder Dortmund. „Wir brauchen das Geld auch deshalb, um die besten Jugendspieler zu halten und neue von anderen zu holen“, sagt Dietrich. In Jens Andrei wurde zudem ein Kümmerer eingestellt, der das Umfeld der Jugendlichen verbessern soll. Neue Sponsoren sollen den Neun-Millionen-Euro Etat für die Jugend unabhängig von dem der Profis machen, Porsche sitzt bereits mit einem siebenstelligen Betrag im Boot.
„Es gibt kein Risiko“, sagt Dietrich. „Das Schlimmste, was passieren kann, ist, dass die 100 Millionen Euro verpuffen und wir am Ende da stehen, wo wir jetzt sind.“Dennoch wird es am Ende wie in der Liebe sein – ob Stuttgarts Anführer das Ja bekommt, wird eine Frage des Vertrauens werden.