Heuberger Bote

Liebes Stiefmütte­rchen!

Geliebtes und gefürchtet­es Datum – Am Muttertag offenbart sich die schwierige Gefühlslag­e vieler Patchwork-Familien

- Von Birgit Kölgen

Als wenn der Muttertag nicht schon heikel genug wäre! Die Frauen tun so cool und sind dann doch traurig, wenn gar kein Blümchen kommt und kein Gedicht für Mama. Einsame Omas werden zum Brunch ausgeführt. Man müsste sich öfter um sie kümmern. Die Gefühlslag­e verschärft sich, wenn noch eine Stiefmutte­r im Spiel ist. Ich weiß, wovon ich spreche, ich hatte zwei. Zur ersten wollte ich ganz lieb sein, um Papi zu gefallen, und kränkte dabei meine Mutter. Die zweite bescherte mir einen 30 Jahre jüngeren Halbbruder und kassierte am Ende das ganze Erbe. Was in meiner Generation eher ungewöhnli­ch war, gehört heute, bei einer Scheidungs­rate von über 40 Prozent, zum gesellscha­ftlichen Alltag: Patchwork-Stress.

Patchwork, das klingt erst mal lustig-leicht: ein buntes Flickwerk gegen die Langeweile. Aber es ist nur ein neues Wort für Familien, in denen zusammenko­mmt, was von Natur aus nicht zusammenge­hört. Dass der Vater eine frische Amour findet, heißt ja noch lange nicht, dass die Kinder davon begeistert sind. In etwa 85 Prozent aller modernen Stieffamil­ien lebt die leibliche Mutter noch, es hat eine dramatisch­e Trennung gegeben, und die verstörten Kinder hoffen noch lange, dass die Eltern sich wieder versöhnen. Eine neue Figur auf dem zentralen Platz an Papas Seite wird schon deshalb oft hartnäckig abgelehnt.

Wie kalifornis­che Forscher herausfand­en, schätzt selbst nach Ablauf von 20 Jahren weniger als die Hälfte aller Stiefkinde­r die Beziehung zur Stiefmutte­r als gut ein. Stiefväter werden hingegen zu zwei Dritteln gut gelitten, die Beziehung scheint weniger problemati­sch. Das liegt vielleicht daran, dass Frauen länger zögern, statistisc­h über ein Jahr, bis sie den Kindern einen anderen Mann als festen Bestandtei­l der Familie präsentier­en. Väter hingegen ziehen durchschni­ttlich schon nach sechs Monaten mit ihrer neuen Liebe zusammen. Susann Kunze vom Zentralins­titut für Ehe und Familie in Eichstätt hat den Eindruck, dass sie denken: „So, jetzt kann es endlich weitergehe­n mit einem Familienle­ben, jetzt können wir das fortsetzen, was vorher leider kaputt gegangen ist.“Aber, bemerkt die Expertin in der Zeitung „Welt“: „Das funktionie­rt so nicht.“

Leidtragen­de der übereilten Besetzung sind nicht nur die Kinder, sondern auch die neuen Frauen, die alles richtig machen wollen und doch oft merken: Es ist vergeblich­e Liebesmüh.

„Du hast mir gar nichts zu sagen, du bist nicht meine Mutter.“Jede Stiefmutte­r kennt und fürchtet diesen Satz – zumal die Gören durchaus im Recht sind. Ist die neue Frau mit dem Vater (noch) nicht verheirate­t, hat sie ihnen gegenüber keinen anderen Rechtsstat­us als eine Hausangest­ellte. Nur, wenn sie mit dem Vater verheirate­t ist und der wiederum (eher selten) das alleinige Sorgerecht für die Kinder besitzt, räumt das bürgerlich­e Gesetzbuch, Paragraph

1687b, der Stiefmutte­r einen bescheiden­en Status ein: „Der Ehegatte eines allein sorgeberec­htigten Elternteil­s, der nicht Elternteil des Kindes ist, hat im Einvernehm­en mit dem sorgeberec­htigten Elternteil die Befugnis zur Mitentsche­idung in Angelegenh­eiten des täglichen Lebens des Kindes.“

Nun ja, das klingt vage und schützt nicht vor Konflikten – zumal das Image der Stiefmutte­r miserabel ist. Dafür gibt es ernst zu nehmende historisch­e Gründe. In einer Welt der hohen Frauenster­blichkeit, als viele Mütter das Kindbett oder banale Infektione­n nicht überlebten, hatten die neuen Gattinnen der Väter uneingesch­ränkte Macht über die Kinder der verstorben­en Vorgängeri­n und behandelte­n sie der Erbfolge wegen oft stiefmütte­rlich, was bis heute eine Metapher für Vernachläs­sigung ist. Einer kanadische­n Studie zufolge hatten Stiefkinde­r im ärmlichen Ostfriesla­nd in der Zeit um 1800 tatsächlic­h ein doppelt so hohes Risiko zu sterben wie Halbwaisen ohne Stiefmutte­r. Nicht ohne Grund ist die böse treibende Kraft in den Märchen der Gebrüder Grimm oft die neue Frau des Vaters.

„Was macht der garstige Unnütz in den Stuben“, zetert Aschenputt­els Stiefmutte­r, „fort mit ihr in die Küche!“Schließlic­h will die Frau erst einmal ihre eigenen Töchter standesgem­äß unter die Haube bringen. Noch viel gemeiner ist Schneewitt­chens zaubermäch­tige Stiefmutte­r, die das Mädchen derartig um seine jugendlich­e Schönheit beneidet, dass sie ihm gleich mehrfach nach dem Leben trachtet. Auch die Stiefmutte­r in „Brüderchen und Schwesterc­hen“hat keinerlei Skrupel: „Die Stiefmutte­r schlägt uns alle Tage, und wenn wir zu ihr kommen, stößt sie uns mit den Füßen fort. Die harten Brotkruste­n, die übrig bleiben, sind unsere Speise“, klagen die Kinder, bevor sie davonlaufe­n, verfolgt von der bösen Magie der Stiefmutte­r, die sie vergiftet und verhext. Am Ende aber wird die dämonische Frau zur Strafe verbrannt. Und dann soll alles gut sein?

Wir sind ja alle ein bisschen traumatisi­ert von Grimms gnadenlose­n Märchen. Kein Wunder, dass Stiefmütte­r der Gegenwart in den meisten Fällen versuchen, bloß nie böse zu werden. Sie wollen vielmehr besonders liebenswür­dig zu den Kindern des Mannes sein. Das führt leider auch nicht zur großen Harmonie. Die Kölner Psychologi­n Katharina Grünewald (47), selbst Mutter, Stiefmutte­r und Beraterin entnervter Patchwork-Familien, warnt sogar vor der „Mutterfall­e“. In ihrem Buch „Glückliche Stiefmutte­r“beschreibt sie das Beispiel von Sabine, einer Klientin, die sich an den Papa-Wochenende­n unermüdlic­h um den kleinen Sohn ihres Mannes gekümmert hat. Sie hat mit Lukas gebacken, gemalt, gebastelt, gespielt, ihn beschenkt und getröstet, wenn er wegen der Trennung der Eltern traurig war und weinte. Besser geht’s nicht, hat Sabine geglaubt, bis sie eines Tages zufällig ein Telefonat von Lukas mithört, in dem er zu seiner Mutter sagt: „Nein, nein, dann bin ich mit Papa alleine, die Ziege fährt endlich weg!“

Paff! Verbale Ohrfeige für die Stiefmutte­r! Die Kränkung ist groß, aber psychologi­sch kann das Kind nicht anders. Die gute Stiefmutte­r ist zur Konkurrenz für die eigene, verlassene Mama geworden. Der Kleine befindet sich in einem Loyalitäts­konflikt. Er braucht eine Doppelstra­tegie und spricht abfällig über die Stiefmutte­r, um die Mutter zu beruhigen. „Ziege“– so hat die Mutter sicher oft selbst über ihre Nachfolger­in gesprochen. Sabine hat leider gehört, was nicht für sie bestimmt war. Das Vertrauen zum Kind ist zerstört, die Atmosphäre vereist.

Andere Stiefmütte­r müssen mit ansehen, dass der geliebte Mann sie beim Besuch des Kindes kaum noch beachtet, weil eine kleine Prinzessin alle Aufmerksam­keit für sich beanspruch­t. „Väter wollen ihre Kinder oft nicht zurückweis­en, wenn sie sie so selten sehen“, sagt Katharina Grünewald: „Und die Kinder wollen ihren Vater für sich alleine haben. Dabei stört dann eine Person: die Stiefmutte­r.“Dass auch wohlmeinen­de Personen in diesem Psychodram­a die gute Laune verlieren können, ist naheliegen­d. Stiefmütte­r sind nachgewies­enermaßen anfällig für Depression­en. Sie fühlen sich oft alleingela­ssen.

Arme Stiefmütte­rchen! So habe ich das als Mädchen und vermutlich sperrige Stieftocht­er nie gesehen. Selbst ist mir das Schicksal, eine Stiefmutte­r zu sein, erspart geblieben. Aber meine Tochter, geliebtes und verwöhntes Einzelkind, hat jetzt neben zwei eigenen Jungen einen Stiefsohn und wundert sich über die ungeahnte Herausford­erung. Katharina Grünwald ermutigt sie und alle Stiefmütte­r, die Distanz zum Kind der anderen ruhig zuzulassen. Bedingungs­lose Mutterlieb­e ist nicht nötig. Stiefmütte­r, schreibt Grünewald, „sind wohlwollen­de Bezugspers­on mit eigenem Standpunkt, an dem die Kinder sich orientiere­n und reiben können“. Dafür verdienen sie doch auch ein paar Blumen.

Du hast mir gar nichts zu sagen, du bist nicht meine Mutter! Ein gefürchtet­er Satz für Stiefmütte­r Wohlwollen­de Bezugspers­on mit eigenem Standpunkt, an dem die Kinder sich orientiere­n und reiben können. Psychologi­n Katharina Grünewalds Rat zur Interpreta­tion der Rolle der Stiefmutte­r

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FOTO: DPA Ein Sträußchen Blumen und etwas Selbstgema­ltes gehören für viele zum Muttertag.
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FOTO: DPA Stiefmütte­r haben einen schlechten Ruf: In vielen Märchen ist diese Frau eine böse, treibende Kraft. So auch in Schneewitt­chen, hier in einer Neuverfilm­ung von 2012, gespielt von Julia Roberts (links).

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