Personalrochade bei der SPD
Genossen sortieren sich nach Sellerings Rücktritt neu
(dpa) - Knapp vier Monate vor der Bundestagswahl muss SPD-Chef und Kanzlerkandidat Martin Schulz seine Partei neu aufstellen. Das Personalkarussell kam in Gang, weil Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsident Erwin Sellering (SPD) am Dienstag wegen einer Krebserkrankung seinen Rückzug angekündigt hat. Nachfolgerin in Schwerin soll Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig werden. Deren Posten soll die bisherige SPDGeneralsekretärin Katarina Barley übernehmen. Sie übergebe die SPDParteizentrale „hervorragend aufgestellt“, sagte Barley, die zuletzt viel Kritik einstecken musste.
Als Generalsekretär soll von kommender Woche an Hubertus Heil den Wahlkampf leiten. Der 44-Jährige hatte den Posten bereits von 2005 bis 2009 inne und gilt als mitverantwortlich für die Wahlniederlage des damaligen Kandidaten Frank-Walter Steinmeier.
- „Ich weiß, dass ihm diese Entscheidung nicht leicht gefallen ist.“Martin Schulz würdigt Erwin Sellering als „außergewöhnlichen Politiker“und „außergewöhnlichen Menschen“. Der SPD-Chef und Kanzlerkandidat ist sichtlich bewegt, weil sich der Ministerpräsident von Mecklenburg-Vorpommern wegen einer akuten Krebserkrankung zurückzieht. Eigentlich hatte Schulz am Montagabend feiern wollen, doch verabschiedete er sich beim Fest der SPD-Parteizeitung „Vorwärts“schnell, telefonierte mit Sellering. „Tief betroffen“sei er danach gewesen, berichtet Schulz. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hat ebenfalls Mitgefühl: „Ich wünsche ihm und seiner Familie Kraft für die kommenden Monate.“
Erst die drei Niederlagen bei den Landtagswahlen in diesem Jahr, der Absturz in den Umfragen, am Wochenende die Querschüsse von Peer Steinbrück – und nun auch noch das! Schulz wird durch die überraschende Krebsdiagnose des Ministerpräsidenten von Mecklenburg-Vorpommern und die Bereitschaft von Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig, neue Regierungschefin in Schwerin zu werden, unter Zugzwang gesetzt. Innerhalb kurzer Zeit muss er sein Team neu sortieren. Am Ende nach einigem Hin und Her setzte der Kanzlerkandidat auf die Rochade – mit dem Ziel, seiner Kampagne mehr Schwung zu verleihen. Stühlerücken bei der SPD.
Heftige Kritik an Barley
Langen Applaus gab es am Dienstag im SPD-Fraktionssaal, als Schulz den Abgeordneten, wie er sagt, „meine Entscheidung vorgetragen“hat. Schwesig-Nachfolgerin wird die bisherige SPD-Generalsekretärin Katarina Barley. Der Bundestagsabgeordnete Hubertus Heil, der Partei und Wahlkämpfe bereits zwischen 2005 und 2009 gemanagt hatte, übernimmt als neuer Generalsekretär.
Für Schulz ist Schwesigs Wechsel von der Bundes- in die Landespolitik zunächst einmal ein Verlust. Die 43Jährige war zuletzt Aktivposten in der SPD. Als Chefin der Programmkommission, stellvertretende Parteivorsitzende und Familienministerin, die öffentlichkeitswirksam Themen für die Genossen besetzte – etwa mit einem Modell für eine Familienarbeitszeit.
Dass sich Schulz für die kompliziertere Variante der Rochade entschieden hat, dafür werden in der SPD verschiedene Gründe genannt. Dem Familienministerium wird in der SPD eine große strategische Bedeutung für den Bundestagswahlkampf beigemessen. Umso wichtiger sei es gewesen, eine profilierte Neubesetzung vorzunehmen, auch wenn es nur noch um wenige Monate im Amt gehe, heißt es in der SPD-Spitze. „Große Verdienste“habe sie für die Partei, lobt Schulz die scheidende Parteimanagerin in den höchsten Tönen. „Mit ihrer Lebenserfahrung“und „ihrer Familienstruktur“bringe sie alles mit, was in dem Amt gebraucht werde. Die gelernte Juristin Barley, geboren in Köln, wohnhaft bei Trier, ist geschieden, hat zwei Söhne. „Eine ausgezeichnete Wahl“, widerspricht Schulz dem Eindruck, Barley sei degradiert worden. Tatsächlich hatte es zuletzt nach den Wahlniederlagen in Schleswig-Holstein und NordrheinWestfalen und der verpatzten Präsentation des SPD-Wahlprogramms intern heftige Kritik an der Generalsekretärin gegeben. Zu unerfahren, zu defensiv, hieß es hinter vorgehaltener Hand, die Wahlkampfzentrale im Willy-Brandt-Haus sei nicht richtig aufgestellt.
Kritik, die Schulz nicht gelten lassen will. Dass er mit dem Niedersachsen Hubertus Heil einen Politiker zu seinem Wahlkampfmanager macht, der bereits einen Bundestagswahlkampf geleitet hat, ist jedoch ein Signal. Heil könne direkt loslegen und die Ärmel aufkrempeln, kenne die Partei so gut wie kaum jemand, heißt es aus Schulz‘ Umgebung. Achim Post, der Chef der einflussreichen nordrhein-westfälischen SPDLandesgruppe im Bundestag, dessen Name am Dienstag ebenfalls genannt wurde, verfügt über keine Erfahrung mit Bundestagswahlkämpfen. Und er wäre nach Schulz und Schatzmeister Dietmar Nietan der dritte Politiker aus Nordrhein-Westfalen in der Parteispitze gewesen.
An Heil klebt jedoch ein Makel: Er war es, der 2009 den Wahlkampf gemanagt hatte. Der heutige Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier fuhr damals mit 23 Prozent das bisher schlechteste Bundestagswahlergebnis ein. Heil ist Mitglied der „Netzwerker“in der SPD, die sich zwischen dem rechten „Seeheimer Kreis“und der Parlamentarischen Linken verorten. Der 44-Jährige weiß, wie es ist, aus einer Großen Koalition heraus Wahlkampf zu machen. „Es darf nicht so sein, dass die CDU, vor allem die Bundeskanzlerin, winkend auf dem Sonnendeck stehen und die SPD im Maschinenraum die Arbeit macht und schwitzt“, erklärte er 2006. Er war bereits unter drei Vorsitzenden Generalsekretär – Matthias Platzeck, Kurt Beck und Franz Müntefering. Schulz ist nun der vierte. Mit ihm verbindet ihn bereits ein Vertrauensverhältnis. Vor wenigen Wochen haben der Kanzlerkandidat und Heil ein wirtschaftspolitisches Strategiepapier vorgelegt. „Ich werde mich nicht darauf konzentrieren, Koalitionsdebatten zu führen“, erklärte der neue SPD-General. „Die SPD hat einen hervorragenden Kanzlerkandidaten und ein ordentliches Programm.“