Alle Vögel sind schon da
In Kirchheim im Allgäu nisten auf einem Firmengelände neun Storchenpaare
(lby) - Wer an der schmalen, gelben, 21 Meter hohen Säule nach oben blickt und das Treiben beobachtet, ist erstaunt: Immer wieder fliegen weiße Vögel davon und kehren wenig später zurück. Die emsigen Bewohner schleppen Äste und Zweige heran und legen sie behutsam ab. Aus manchen Nestern lugt der Kopf eines Tiers. Die Nestbauer sind Weißstörche.
Auf dem Firmengelände einer Holzbaufirma in Kirchheim im Landkreis Unterallgäu haben sich neun Storchenpaare niedergelassen, um dort ihren Nachwuchs auszubrüten. „Die Kleinen dürften bald schlüpfen“, sagt Karin Holzheu, Chefin der Firma. „Die Weibchen brüten schon seit neun Wochen und sind damit überfällig.“Jedes Paar hat auf dem Gelände ihr eigenes, auf Metallstreben installiertes Nest – fast wie im Hotel. Friedlich teilen sich die Tiere die Plätze auf dem Stahlmast. Manche Nester sind nur wenige Zentimeter voneinander entfernt.
Bei der Firma im Unterallgäu haben Störche Tradition. „Vor gut zwölf Jahren hat sich das erste Mal ein Paar bei uns niedergelassen und gebrütet“, sagt Holzheu. Damals nisteten die Tiere auf einem ausgedienten und 30 Jahre alten Kran. Weil dieser mitten auf dem Firmengelände stand, ergaben sich Probleme: Viele Störche machen nämlich viel Dreck. „Die Störche haben uns den ganzen Hof vollgeschissen“, erklärt Holzheu. „Manche Baucontainer waren komplett weiß vor Kot, man musste aufpassen, wo man hintritt.“Über die Jahre wurden es immer mehr Störche und der Baukran als Nistplatz immer ungeeigneter. Größtes Problem: Sicherheitsbedenken wegen der Statik. Der Kran musste weg.
Weil die Holzheus und deren Angestellte sich aber so an ihre Untermieter gewöhnt hatten, war die Vertreibung der Störche keine Option. Eine Alternative musste her. Karin Holzheus Ehemann Markus dachte sich eine unkonventionelle, aber praktische Lösung als Ausweichheimat für die Störche aus. Die Behörden winkten seinen Bebauungsantrag für einen Standort etwas abseits des Firmengeländes durch. Holzheu installierte zwei Ebenen mit fünf Meter langen Auslegern am alten Kranturm. Dort brachte er neun Nestunterlagen an. Im Dezember 2016 zogen die Störche auf die neue Stahlkonstruktion um – freilich in Abwesenheit der Tiere, weil die über den Winter im Süden weilten.
Signalwirkung für andere
Die neun Storchenpaare in Kirchheim bilden damit eine von fünf großen Storchenkolonien in Bayern. „Das Projekt der Holzheus hat Signalwirkung“, lobt Anton Burnhauser, Storchexperte und Vertreter der höheren Naturschutzbehörde Schwaben das deutschlandweit einzigartige Projekt. „Als sie damals angefangen haben, war der Storchbestand in Bayern am Boden.“Dass es in Bayern jetzt wieder so viele Störche gebe, habe man der Familie Holzheu zu verdanken.
Eine Frage aber treibt den Storchexperten um: Warum leben die Tiere, eigentlich eher Einzelgänger, in Kirchheim so friedlich nebeneinander? „Die Störche treten regelrecht als Team auf“, erklärt Burnhauser. „Sie gehen gemeinsam auf Futtersuche und beschützen die Nester vor Eindringlingen.“So was kenne man aus Spanien und Österreich, erklärt der Experte. In Bayern aber sei dieses soziale Verhalten einzigartig, so Burnhauser. Seine Theorie: Die Störche könnten aus einer Aufzuchtstation stammen und deswegen aneinander gewöhnt sein. Für die Holzheus und deren Angestellte ist klar, dass die Störche dazugehören. „Das sind unsere Störche“, scherzt Karin Holzheu. „Man ertappt sich manchmal schon dabei, dass man das Arbeiten vergisst, weil man so auf das Treiben da oben fixiert ist.“
Auch wenn die 18 Störche mittlerweile zum Firmeninventar gehören, eines ist für Karin Holzheu klar: „Wir greifen nicht in das Leben der Störche ein“, sagt sie. Das bedeutet auch, dass weitere Nester nicht geplant sind. „Man muss auch keinen Zoo draus machen, neun Nester reichen.“Eine Neuerung plant Karin Holzheu aber trotzdem. Gerne würde sie eine Webcam in der Nähe der Störche installieren – um ihren tierischen Untermietern künftig noch ein Stückchen näher kommen zu können.