230 Firmen unter dem Verdacht des Pflegebetrugs
Bundesweites Netz mit Scheinunternehmen im In- und Ausland – Schaden liegt bei 1,25 Milliarden Euro
- „Betrug in der Pflege ist eine Schweinerei“, empört sich der Pflegebeauftragte der Bundesregierung, Karl-Josef Laumann (CDU), am Dienstag im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“. Tatsächlich hat das Abzocken durch eine russische und ukrainische Pflegemafia in Deutschland eine enorme Dimension angenommen: 230 Firmen stehen laut dem Abschlussbericht des Landeskriminalamtes Nordrhein-Westfalen (NRW) unter Verdacht, am organisierten Betrug beteiligt zu sein.
Die Ermittlungen berühren auch Baden-Württemberg. Nach Angaben des Innenministeriums ist das Landeskriminalamt Baden-Württemberg im Rahmen des Projektes „Curafair“daran beteiligt, wie die „Heilbronner Stimme“berichtete. Ein Sprecher sagte: „In diesem Zusammenhang wurde ein relevantes Verfahren durch das Polizeipräsidium Stuttgart gemeldet, bei dem ein in Baden-Württemberg ansässiger Pflegedienst involviert sein soll.“
Es geht bundesweit um einen Schaden für die Pflegekassen in Höhe von gut einer Milliarde Euro. SPDBundestagsfraktionsvize Karl Lauterbach fordert den Aufbau von Schwerpunktstaatsanwaltschaften. Der Bericht des Landeskriminalamts NRW basiert auf jahrelangen Vorermittlungen und einer Großrazzia im September 2016 in fünf Bundesländern. Mehr als hundert Geschäftsräume ambulanter Pflegedienste und Wohnungen waren durchsucht worden. Die Auswertung ergab: Rund 230 Pflegedienste mit osteuropäischen Gründern sollen ein bundesweites Netz mit Scheinfirmen im Inund Ausland gespannt haben. Mehrere Drahtzieher gehören angeblich der russischen Mafia an, darunter Auftragsmörder. Der Großteil der Betrüger stamme aber aus der Ukraine. Die dreiste Masche funktioniert folgendermaßen: Die Pflegedienstbetreiber akquirieren über Kontaktanzeigen und lokale Gemeinden pflegebedürftige Patienten. Deren Familien machen oft mit. Anstatt etwa den Betroffenen rund um die Uhr zu helfen, schauen die Pfleger nur zweimal am Tag vorbei, kassieren aber von den Pflegeversicherungen die Leistung für die Rund-um-dieUhr-Betreuung. Oder die zu Pflegenden sind nicht so bedürftig wie vorgegaukelt. An den illegalen Machenschaften beteiligte Ärzte stellen falsche Atteste aus und halten dafür die Hand auf. Die Patienten werden sogar extra trainiert, bei Kontrollen ihre vermeintliche Pflegebedürftigkeit zur Schau zu stellen. Der Gesamtschaden beläuft sich laut Berechnungen der Deutschen Fachpflege Gruppe auf bis zu 1,25 Milliarden Euro.
Die Politik hat nach der Razzia 2016 reagiert. So haben die gesetzlichen Krankenkassen ein systematisches Prüfrecht erhalten. Kontrolleure können unangekündigt die geleistete Arbeit überwachen.