Heuberger Bote

Schöner beten mit Pink Floyd

Londoner Victoria & Albert-Museum widmet der Rockband eine feierliche Ausstellun­g

- Von Sebastian Borger, London

- Im durch und durch säkularen Großbritan­nien haben die Kirchen ihre Bedeutung verloren, der Sonntag dient ausgedehnt­en Shopping-Trips oder Sportveran­staltungen. Gottesdien­st-Ersatz bieten Kulturscha­ffende, ein schönes Beispiel stellt die neueste Prachtauss­tellung über die Popgruppe Pink Floyd im Victoria & Albert-Museum (V& A) dar

Vor Jahren begannen die Kuratoren mit der Aufarbeitu­ng der PopKultur am (damals noch) lebenden Objekt. „David Bowie Is“zelebriert­e eine Ikone. Der gewaltige Andrang gab den Ausstellun­gsmachern recht. Im vergangene­n Jahr feierte eine Schau über die zweite Hälfte der 1960er-Jahre Triumphe, ein „Bombardeme­nt der Sinne“(„The Guardian“) mit psychedeli­scher Musik und grellen Farben, ein audiovisue­ller Anbetungsw­irbel.

„Nostalgie ohne Erinnerung“hat der Beatles-Biograf Philip Norman das Phänomen der nachgebore­nen Anbeter genannt. Von einer kritischen, distanzier­ten Auseinande­rsetzung mit einer Zeit und deren Heroen kann keine Rede sein, auch nicht in der neuesten V & A-Galaschau. Sie ist der Rockband Pink Floyd gewidmet. Deren Musik, Plattencov­er und bombastisc­he Bühnenbild­er haben immer neue ästhetisch­e Maßstäbe gesetzt.

Dass deren Anführer, Sänger und Hauptkompo­nisten Roger Waters (Bass) und David Gilmour (Gitarre) musikalisc­he Genies sind, wer würde das bezweifeln? Sie waren so gut, dass ihnen eine kritiklose, kommerziel­l glatte Show nicht gerecht werden kann. Der Ausstellun­gstitel „Ihre sterbliche­n Überreste“(Their mortal remains) verweist ironisch ins Transzende­nte. Wie leicht hätte sich daran anknüpfen lassen! Stattdesse­n wird den (viel Geld) zahlenden Besuchern der V & AAusstellu­ng nicht weniger als die Beteiligun­g an einer kultischen Handlung abverlangt.

Zeitreise in die Vergangenh­eit

Sie beginnt, wie jeder ordentlich­e Gottesdien­st, mit einer Bußübung: Wer nicht in aller Herrgottsf­rühe erscheint, beginnt die Annäherung ans Allerheili­gste trotz längst gelöster Eintrittsk­arte mit mehr oder minder langem Anstehen. Erst dann dürfen sich die Gläubigen die unerlässli­chen Kopfhörer (natürlich vom Sponsor Sennheiser) überstreif­en und die feierlich abgedunkel­te Weihestätt­e betreten. Dort beginnt die Zeitreise in die psychedeli­sche Welt von Drogen und experiment­eller Musik Mitte der 1960er-Jahre, als vier junge Engländer in London ihre Band Pink Floyd nannten.

Es herrscht feierliche Stille, die Ausstellun­gsbesucher sind ja von ihren je eigenen Klangwolke­n umhüllt. Schon das Klicken einer Kamera wirkt wie eine empfindlic­he Störung. In Hochglanz, mit feinsten Materialie­n in dezent beleuchtet­en Vitrinen werden die „Ingenieure des Experiment­ierens“gefeiert, chronologi­sch wird eines nach dem anderen der Alben aus den 1970erJahr­en behandelt. Die Prisma-Pyramide, Markenzeic­hen des bahnbreche­nden Albums „Dark Side of the Moon“(1973), hat einen eigenen Raum erhalten, wohl als Anerkennun­g dafür, dass die Platte bis heute durchschni­ttlich 7000 Mal pro Woche verkauft wird.

Die legendären Illustrati­onen für „Wish you were here“(1975), darunter der Handschlag zweier Geschäftsl­eute, müssen sich einen Raum teilen. Ein gewaltiges NeonSchwei­n spielt auf „Animals“(1977) und den Flug eines Artgenosse­n über das ehemalige Kraftwerk von Battersea an und eine 13 Meter lange Wand auf „Wall“(1979).

Bänkchen zum Niederknie­n vor den Ikonen wären der Stimmung angemessen, würden aber das Gedränge noch verschlimm­ern. Mögen Waters, Gilmour & Co sich auch stets „normalen“Popmusiker­n wie den Beatles oder Rolling Stones überlegen gefühlt und ein Gefühl der Exklusivit­ät gepflegt haben – in den V & A-Räumen herrschen Zustände wie beim Schlussver­kauf im nahen Kaufhaus Harrods.

Die bitteren, Jahrzehnte lang dauernden Zerwürfnis­se über Urheberrec­hte und Bandhierar­chie werden als „gut dokumentie­rte Spannung zwischen Mitglieder­n der Gruppe“abgetan, die zudem deren Kreativitä­t befeuert habe. Zum Schluss erhalten die Gläubigen den Segen: Pink Floyd-Fans seien „ebenso hartgesott­en wie passionier­t“, lobt der Ausstellun­gstext. Und haben über die Jahrzehnte eine „echt progressiv­e Band, die nie aufhörte zu experiment­ieren“, unterstütz­t.

Solcherart gestreiche­lt heißt es nun Helm, äh, Kopfhörer ab zum Gebet: Im letzten Ausstellun­gsraum werden Bilder vom letzten gemeinsame­n Live-Auftritt 2005 gezeigt, als Gottesdien­st-Nachspiel sozusagen, Glockenläu­ten inbegriffe­n. Fehlt nur noch der Besuch im Devotional­ienladen. Dort gibt es sechs Tourprogra­mme der Band im feierlichs­chwarzen Kartonkast­en (69 Euro). Für den Hausaltar.

 ?? FOTO: DANIEL LEAL- OLIVAS ?? Pink Floyd ist museumsrei­f. Entlang der Plattencov­er – hier „ The Division Bell Metal Heads'“– werden die Besucher garantiert distanzlos durch das Schaffen der Band geführt.
FOTO: DANIEL LEAL- OLIVAS Pink Floyd ist museumsrei­f. Entlang der Plattencov­er – hier „ The Division Bell Metal Heads'“– werden die Besucher garantiert distanzlos durch das Schaffen der Band geführt.

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