Schicksalstag für den VfB
Mitglieder des Aufsteigers entscheiden über die Ausgliederung – es dürfte eng werden
(fil/zak/dpa/SID) - „Jahrhundertprojekt“. „Wichtigste Abstimmungsmöglichkeit, seit es den Verein gibt“. „Ohne Ausgliederung bräuchten wir Transfererlöse“: Drunter hat es Wolfgang Dietrich in den letzten Wochen und Monaten während seiner Wahlkampftour nicht gemacht. Dietrich ist nicht der erste Präsident des VfB Stuttgart, der die Profifußballabteilung aus dem Gesamtverein in eine Kapitalgesellschaft überführen will; der vor acht Monaten zum Präsidendenten gewählte frühere Sprecher von Stuttgart 21 ist aber der Erste, der das Thema Ausgliederung auch zur Abstimmung bringt.
Am heutigen Donnerstag (ab 18.30 Uhr) sollen die VfB-Mitglieder im Stuttgarter Stadion also der Gründung der „VfB Stuttgart 1893 AG“zustimmen – die zunächst zu 88,25 Prozent dem Verein und zu 11,75 Prozent der Daimler AG gehören soll. Daimler, dem Club ohnehin schon als Hauptsponsor und unmittelbarer Nachbar verbunden, soll dafür 41,5 Millionen Euro zahlen. Später möchte der VfB weitere Anteile veräußern – maximal 24,9 Prozent. Die Hürde aber ist hoch: 75 Prozent und eine Stimme braucht Dietrich bei der Abstimmung. Könnte eng werden. Kritiker und Gegner der Ausgliederung gibt es genug, vor allem aus der aktiven Fanszene. Auf rund 1500 werden die Gegner geschätzt. Je mehr Befürworter Dietrich also zum Kommen mobilisieren kann, desto höher die Chance, dass sein Projekt durchgeht. Darum seine unzähligen Besuche bei Fans und Fanclubs, immer mit VfB-Legenden im Schlepptau. Darum kostenlose Trikots für jeden, der zur Mitgliederversammlung kommt. Darum Wahlkampfreden zwischen blühenden Landschaften und einer Zukunft in Grau: Käme die Ausgliederung, könnte der VfB sich binnen weniger Jahre wieder im oberen Drittel der Bundesliga etablieren. Und sonst? Auf ewig Verkaufsverein, der mehr nach unten gucken müsste. „Der VfB wird auf jeden Fall weiter bestehen. Die Ziele müssten allerdings anders formuliert werden“, sagte der Präsident immer wieder. Auch Trainer Hannes Wolf sagte am Dienstag am Rande des Benefizspiels gegen den SV Ringschnait in Biberach: „Die Ausgliederung wäre der Weg, den VfB zukunftsfähig zu machen. Es geht leider nicht, den Anspruch zu haben, besser als die Konkurrenz zu sein, wenn man weniger Geld für den Kader, den Nachwuchs und die Infrastruktur hat. Mit der AG können wir den Abstand nach oben verkürzen und mittelfristig zu den Top 5 aufschließen.“Und Manager Jan Schindelmeiser sagte immer wieder: „Wir brauchen das einfach. Wenn wir uns mittel- und langfristig wieder nach oben orientieren wollen, dann geht an einer Ausgliederung und dem, was danach folgt, kein Weg vorbei“, betonte er. „Schaffen wir das nicht, wird es für uns extrem schwer.“
Diese totale Schwarz-weiß-Malerei Dietrichs und der Seinen und die fortwährende Darstellung einer angeblichen Alternativlosigkeit zur Ausgliederung ärgert allerdings viele Kritiker. Der SC Freiburg hat es ganz ohne Ausgliederung in die Europa League geschafft, Schalke andere (wenn auch nicht unbedingt bessere) Finanzierungsmodelle gefunden. Beim 1. FC Köln oder Borussia Mönchengladbach und anderen halten die Vereine weiter 100 Prozent der Anteile an der ausgegliederten Profifußballabteilung. Einigen Kritikern wäre zudem die Ausgliederung in eine GmbH oder KGaA lieber als in eine AG – weil dort die Einflussmöglichkeiten der Investoren am größten wären.
Schwindelerregende Zahlen
Zudem bemängeln die Kririker, dass Dietrich recht vage blieb bei der Frage, wie das frische Geld genau investiert werden soll. Ihre Angst: Der VfB verjubelt das Geld gleich wieder, investiert zu wenig in Infrastruktur und zu viel in die falschen Spieler – wie schon nach der Meisterschaft 2007. Auch ist unklar, ob der VfB wirklich noch weitere Investoren findet, die bereit sind, ähnlich viel zu zahlen wie Daimler. 41,5 Millionen Euro für 11,75 Prozent der Anteile eines Aufsteigers wirken überbewertet. Insgesamt will der VfB 100 Millionen Euro einnehmen aus den Anteilsverkäufen – als „Anschubfinanzierung“, um sportlich so erfolgreich zu werden, dass künftige Einnahmen aus Sponsoren- und TV-Rechten überproportional steigen. 250 Millionen Euro möchte Dietrich in vier Jahren einnehmen. Branchenkennern wirkt dies zumindest optimistisch kalkuliert. Mittelfristig, so Dietrich, bräuchte der VfB künftig einen Etat von rund 100 Millionen Euro im Jahr, um konkurrenzfähig zu sein.
Immerhin: Führungslos wäre der VfB so oder so nicht. Dietrich will Präsident bleiben.