Erdogans langer Arm reicht bis ins Ausland
ach der Entlassung von mehr als 150 000 Menschen aus dem türkischen Staatsdienst und der Festnahme von 50 000 Verdächtigen seit dem Putschversuch im vergangenen Jahr weitet die Regierung von Präsident Recep Tayyip Erdogan ihre Jagd auf mutmaßliche Gegner immer stärker auf das Ausland aus. Erdogan selbst spricht inzwischen offen von einem Tauschgeschäft: Die Türkei will festgenommene westliche Staatsbürger nur freilassen, wenn sie im Gegenzug die Abschiebung von Gülen-Anhängern aus dem Ausland erreicht.
Mehr als ein Dutzend Anhänger des Erdogan-Erzfeindes Fethullah Gülen sind laut dem „Wall Street Journal“in jüngster Zeit auf türkischen Wunsch hin aus Malaysia, Myanmar und Saudi-Arabien in die Türkei zurückgeschickt worden. Auch Nigeria und Bulgarien haben nach diesem Bericht türkische Staatsbürger gegen ihren Willen in die Türkei geschickt.
Die Fälle zeigen, dass die Türkei mit immer rabiateren Mitteln versucht, an tatsächliche oder mutmaßliche Gülen-Leute im Ausland zu kommen. Auch der türkische Basketballer und bekennende Gülen-Anhänger Enes Kanter, der in der USProfiliga NBA sein Geld verdient, bekam dies jetzt zu spüren. Während einer Reise, bei der er Gülen-Schulen in mehreren Ländern besuchte, erfuhr Kanter, dass Ankara seinen türkischen Pass für ungültig erklärt hatte. Ohne gültige Reisedokumente drohte ihm die Abschiebung nach Istanbul. Nur nach der Intervention von Vertretern der US-Regierung und der NBA konnte Kanter die Heimreise nach Amerika antreten.
Laut Medienberichten will die türkische Regierung allen ihren Gegnern im Ausland mit einem Entzug der Staatsbürgerschaft drohen. Eine geplante Neuregelung sieht demnach vor, dass unter Verdacht stehende Gülen-Anhänger ausgebürgert werden, wenn diese nicht innerhalb von drei Monaten in die Türkei zurückkehren. Die Beschuldigten wären dann staatenlos und müssten möglicherweise mit der Zwangsabschiebung rechnen.
Erdogans Taktik stellt westliche Staaten vor Probleme. Die Auslieferung von geflohenen mutmaßlichen Kriminellen gehört zum normalen Umgang zwischen verbündeten Staaten – doch die Türkei erklärt Menschen zu Kriminellen oder gar Terroristen, deren einziges Vergehen in einer mutmaßlichen Bewunderung für Fethullah Gülen besteht. Ankara spricht von einer Terrororganisation des in den USA lebenden Predigers. Doch kein westliches Land erkennt die Gülen-Bewegung bisher als Terrorgruppe an. Erdogan und seine Minister werfen den westlichen Staaten deshalb vor, Terroristen zu schützen.
Auch im Umgang mit den USA, die Erdogans Forderung nach einer Auslieferung Gülens bisher unbeantwortet lassen, greift die Türkei zu radikaleren Methoden. So sitzt der seit mehr als 20 Jahren in der Türkei lebende US-Geistliche Andrew Brunson seit dem vergangenen Herbst unter Terrorverdacht in türkischer Haft. Eine Rede des türkischen Präsidenten nährt den Verdacht, dass Ankara westliche Ausländer gewissermaßen als Geiseln betrachtet. Wenn der Westen der Türkei bei Auslieferungsverfahren nicht entgegenkomme, dann werde sein Land auch jene Westler nicht mehr hergeben, „die uns in die Hände fallen“, sagte er.