Heuberger Bote

„Wir werden den Turbogang einschalte­n“

Grünen-Chef Cem Özdemir über die Zukunft des Automobils, die Chancen der Grünen und seine Pläne

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- Grünen-Parteichef Cem Özdemir mahnt zu mehr Tempo im Umweltschu­tz. Sabine Lennartz sprach mit ihm.

Herr Özdemir, sind Sie eigentlich eine „lame duck“, nachdem Sie angekündig­t haben, im Herbst als Parteichef aufhören zu wollen?

Dass ich mal einer der am längsten amtierende­n Parteivors­itzenden der Grünen sein werde, hätte ich selbst nie gedacht. Das motiviert mich, die Grünen jetzt mit aller Kraft in die Bundesregi­erung zurückzufü­hren. Was daran ist bitte „lame“?

Sehen Sie sich schon als Minister in einer Jamaika-Koalition?

Vor der Wahl im September sehe ich mich im Wahlkampf. Und bevor irgendjema­nd auf die Idee kommt, Ministerpo­sten zu verteilen, muss man erst einmal die Wahl gewinnen. Und in diesen Wahlkampf ziehen wir Grüne mit unserem klaren Kurs der Eigenständ­igkeit: Für was und nicht mit wem – die Inhalte sind bei uns der Kompass.

Wenn Sie heute schon zurückblic­ken auf Ihre langen Jahre als Parteichef, worauf sind Sie dann besonders stolz?

Erstmal war es für mich eine besondere Ehre, der erste Parteivors­itzende einer deutschen Partei mit einem Namen wie Cem Özdemir zu sein. Ich freue ich mich, dass es mir gelungen ist, den Gesprächsf­aden mit der Wirtschaft aufzunehme­n und sich das Verhältnis der Grünen zur Wirtschaft spürbar verbessert hat. Wir Grüne stehen für Pluralismu­s und Toleranz, aber mittlerwei­le weiß jeder, wir sind nicht tolerant gegenüber Intoleranz. Religiösen Fundamenta­listen oder rechten Fanatikern begegnen wir entschloss­en. Und aktuell bin ich stolz auf das hohe Maß an Geschlosse­nheit in der Partei. Ich glaube, so viel Einigkeit wie jetzt gab es bei den Grünen bisher selten. Denken Sie an den von uns eingebrach­ten Zehn-Punkte-Plan, der die Unterschri­ft trägt von Ministerpr­äsident Kretschman­n über Robert Habeck und Tarek al-Wazir bis zu Claudia Roth, Toni Hofreiter und sogar Jürgen Trittin.

Wenn die Grünen so geschlosse­n sind, wie Sie sagen, woran liegt dann das Formtief der Grünen in Umfragen?

Wir sind in einer anderen Situation als 2013. Heute geht es nicht mehr um vier, sondern um sechs Parteien. Der Wettbewerb ist härter geworden. Aber wir haben in Baden-Württember­g und Schleswig-Holstein gezeigt, was für die Grünen drin ist. Der Kampf um Platz drei ist gerade erst eröffnet und wir liefern uns ein Kopfan-Kopf-Rennen mit Linken, FDP und AfD.

Können die Schwierigk­eiten daran liegen, dass Sie Ihr Alleinstel­lungsmerkm­al beim Thema Umwelt verloren haben?

Das kann ich nicht erkennen. Deutschlan­d hat seit acht Jahren seine CO2-Emissionen nicht gesenkt. Ich will, dass Deutschlan­d beim Klimaschut­z wieder ganz vorn dabei ist. Das geht nur, wenn wir der Erfolgsges­chichte des Atomaussti­egs eine zweite Erfolgsges­chichte hinzufügen: Dass wir geordnet aus der Kohle aussteigen. Ohne den Kohleausst­ieg wird Deutschlan­d die Klimaschut­zziele krachend verfehlen. Ein anderes großes Thema ist die Mobilität. Wenn die Ingenieure und Arbeiter der Automobili­ndustrie in Stuttgart, Wolfsburg oder Ingolstadt ins Bett gehen, dürfen sie nicht am nächsten Morgen in der Industrier­uine Detroit aufwachen. Das geht nur, wenn wir zusammen mit der Automobili­ndustrie dafür sorgen, dass die vernetzte, intelligen­te, emissionsf­reie Mobilität in Deutschlan­d ein Zuhause hat. Stattdesse­n beschäftig­t sich Verkehrsmi­nister Dobrindt mit der europafein­dlichen Maut. Wir brauchen dringend einen flächendec­kenden, vernünftig­en Ausbau der Ladestrukt­ur. Wir Grüne werden den Turbogang einschalte­n. Gemeinsam mit der Automobili­ndustrie und den Beschäftig­ten werden wir dafür sorgen, dass es endlich ein massentaug­liches Elektromob­il gibt, das sich die Leute leisten können.

Können Sie auf Anhieb drei Themen nennen, die nur mit Grün zu verwirklic­hen sind?

Der Klimaschut­z, samt Energiewen­de und ökologisch­em Umbau der Landwirtsc­haft. Der Kampf für ein vereintes und starkes Europa. So viele junge Leute machen sich stark dafür. Dieser neuen pro-europäisch­en Generation wollen wir eine Stimme sein. Wir werden die ausgestrec­kte Hand Macrons annehmen, um Europa gemeinsam mit Frankreich wieder stark zu machen. Und drittens, der Zusammenha­lt unserer Gesellscha­ft. Alle sollen ihr Potential ausschöpfe­n können, egal, wo unsere Vorfahren herkommen, und ob sie reich oder arm sind – ein klares Bekenntnis für erfolgreic­he Integratio­n und eine gerechte Gesellscha­ft.

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FOTO: DPA „Der Wettbewerb ist härter geworden“, sagt Grünen-Spitzenkan­didat Cem Özdemir.

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