Stillleben mit Schwangerer
Beate Zschäpe als Bühnenfigur: „Das Erbe“an den Münchner Kammerspielen
- Er ist der Shooting-Star unter den Regisseuren. Jetzt hat Ersan Mondtag an den Münchner Kammerspielen Beate Zschäpe, die wegen Beihilfe zu den NSU-Morden Angeklagte, zum Gegenstand eines Theaterabends gemacht. Der Text zur Uraufführung stammt von der Autorin Olga Bach.
Wäre die Hölle ein kosmisches Labor, würden dort Lemuren geistern, wie sie jetzt an den Münchner Kammerspielen zu sehen sind. Aufgeschossene Rotgesichte mit langem Strähnenhaar, auf dem Hinterkopf eine Tonsur, als wandelten verhärmte Novizinnen in knielangen Kleidern und mit Kniestrümpfen durch ein teuflisches Kloster. Heilig ist dieser Ort nicht. Im Gegenteil: Was Rainer Casper da als Bühne gebaut hat, könnte eine riesige Weltbibliothek sein, in der alles zu finden ist, was die Menschheit in Jahrtausenden gesammelt hat. Die Schönheit der Kunst und Kultur, aber auch all das Grauen der Weltgeschichte. „Das Erbe“nennt Ersan Mondtag seinen jüngsten zusammen mit der Autorin Olga Bach und dem Videokünstler Florian Seufert entwickelten Theaterabend. Mondtag wurde innerhalb kurzer Zeit zweimal zum Berliner Theatertreffen eingeladen. Inzwischen kann er es sich aussuchen, an welchem Theater er eines seiner szenischen Gesamtkunstwerke inszenieren möchte.
Im Untertitel der Uraufführung steht „Eine Assoziation zum NSU“. Gemeint ist das Trio des nationalsozialistischen Untergrunds, das im Wohnmobil durch Deutschland reiste und neun Männer türkischer und griechischer Herkunft ermordete. Die Mordschützen Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos richteten sich selbst. Beate Zschäpe, von der man bis heute nicht weiß, welche Rolle sie im rechtsradikalen Hinrichtungskommando spielte, sitzt immer noch auf der Anklagebank des Münchner Landgerichts und schweigt sich wund. Was sich im Hirn dieser Frau wohl abspielt, fragte sich vor drei Jahren schon Elfriede Jelinek im ebenfalls an den Münchner Kammerspielen uraufgeführten „Das schweigende Mädchen“. Olga Bach, die jetzt für den Text verantwortlich ist, widmet sich ebenfalls dieser Frage. Ihr Text ist aber nicht zu vergleichen mit dem der Nobelpreisträgerin, und auch Ersan Mondtag hat völlig anders inszeniert als Johan Simon, der ehemalige Kammerspiel-Intendant und Regisseur der Jelinek-Uraufführung.
Assoziatives Kunterbunt
Olga Bach schreibt so dicht wie knapp. „Das Erbe“umfasst gerade mal zwanzig Seiten, holt aber trotzdem zu einem kulturgeschichtlichen Rundumschlag aus. In einer knappen Bildbeschreibung geht es um das „Bildnis eines bartlosen Mannes und Bildnis einer Frau“von Lucas Cranach dem Älteren. Es folgen Textpartikel von Sophokles, Schiller, Kafka, Böll, Heiner Müller. Mitten im assoziativen Kunterbunt sprechen dann aber plötzlich zwei nicht näher definierte Menschen über Beate Zschäpe. Eigentlich sehe sie „fast wie ein zartes Mädchen aus“, meint der eine. Darauf der andere: „Sie sieht völlig verblödet aus.“In der Uraufführung geht an dieser Stelle mitten in der Fake-Bibliothek eine große Schiebetür auf und öffnet den Blick auf einen dahinterliegenden Raum, in dessen Mitte eine Schauspielerin in einem jener Körperanzüge liegt, die Nacktheit vortäuschen. Tina Keserovic sieht wie Beate Zschäpe aus und erweckt in ihrem Bodysuit den Eindruck, sie sei schwanger. Später wird sie mit einem Unschuldslächeln über die Bühne wandeln, sich wie ein trotziges Kind schreiend winden und schließlich ihr eigenes Hirn gebären. Jetzt aber liegt sie reglos, und wir verstehen: Hier wurde ein Studienobjekt der Menschheitsgeschichte konserviert. Mit ihm werden sich die maskenhaften Lemuren (Jonas Grundner-Culemann, Thomas Hauser, Jelena Kuljic, Lena Lauzemis, Wiebke Puls, Damian Rebgetz) näher beschäftigen.
Ersan Mondtag inszeniert, als seien Nachkommen der heutigen Menschheit mit einem Raumschiff unterwegs. Robo-Wissenschaftler, die durch ein großes Fenster ins Nichts des Alls blicken und kühl gezirkelt das Erbe der Menschheit analysieren. Nirgendwo ist da Empathie oder Grauen, auch nicht, wenn sie unvermittelt einen Vers aus Gustav Mahlers „Kindertotenliedern“singen. Das „Oft denk’ ich, sie sind nur ausgegangen!“wirkt, als wollten sie die Angehörigen der NSU-Opfer darauf aufmerksam machen, der Tod sei nichts Endgültiges. Der Eindruck, man sei in einem gefühllosen Labor gelandet, stellt sich auch ein, wenn es um den Schwaben Ernst August Wagner geht, der im September 1913 nahe Stuttgart seine gesamte Familie ermordete und auf der Straße mit zwei Mauser-Pistolen wahllos um sich schoss.
Der erste amtlich registrierte Amokläufer schrieb ganz nebenbei Theaterstücke und wälzte herrenmenschliches Gedankengut. Nachdem er gestorben war, wurde sein Gehirn seziert, und da habe man, schreibt Olga Bach, einen Schaden im limbischen System festgestellt, also in jener Hirnregion, die für unsere Emotionalität zuständig ist. Und weiter: „Wagner war wahnsinnig. Keine politische Motivation. Schwere dependente Persönlichkeitsstörung, schwere seelische Abartigkeit.“Und was soll das bedeuten? Dass Beate Zschäpe am Ende des Münchner Prozesses in eine psychiatrische Klinik eingeliefert wird?
Eine ganz andere Frage stellt man sich nicht, denn das wäre ja nicht cool: Ist Ersan Mondtags ästhetisches Überwältigungstheater nicht ein etwas schlaffer Zugriff angesichts der Morde des NSU?