N Zu Fuß an die eigenen Grenzen
Nie war der Ansturm auf „24 Stunden von Bayern“größer – Sabine Greiner wandert zum vierten Mal mit
● ormalerweise gehe ich als Frau nachts nicht in den Wald“, sagt Sabine Greiner mit einem Blick, der in etwa sagt: ,Ich bin doch nicht bescheuert!’ Trotzdem wird man die 36-Jährige Biotechnologin an diesem Wochenende genau dort antreffen: Im finsteren Dickicht, während der „24 Stunden von Bayern“und zwar nicht nur spätabends, sondern zu jener Zeit, wo die Nacht und der Morgen sich am Himmel begegnen. Auf einsamen Pfaden, wo sich nicht mal Fuchs und Hase gute Nacht sagen, sondern grußlos aneinander vorbeigehen. Dann, wenn das Licht eines neuen Tages zunächst kaum spürbare Lücken in das Schwarz ritzt. In jenen Momenten, irgendwann morgens um vier oder fünf, wenn die gelaufenen Kilometer nicht nur in jeder Muskelfaser des Körpers brennen, sondern auch die Seele mit der Erschöpfung kämpft – und die Wanderlust ein ziemlich weit entferntes und unwirkliches Gefühl ist.
Aber genau diese Grenzerfahrungen sind es, die immer mehr Wanderer suchen – und bei den „24 Stunden von Bayern“offenbar auch finden. Das aktuelle Jahr führt die Bewegungshungrigen nach Bad Hindelang im Allgäu. Es ist die insgesamt neunte Ausgabe des Wander-Events. Der Veranstalter, die Bayern Tourismus Marketing GmbH, hat knapp 1800 Anmeldungen gezählt. Viermal so viele wie tatsächlich teilnehmen können. Denn das Limit liegt bei 444. Wer mitwandern darf, entscheidet das Los. Mehr sei aufgrund der organisatorischen Gegebenheiten nicht drin, heißt es vom Veranstalter. Schließlich sei es oberstes Ziel, den Wanderern ein perfektes Erlebnis zu ermöglichen.
Dass die Veranstaltung diesem Anspruch genügt, kann Sabine Greiner bestätigen, denn sie hat an den bis zu 70 Kilometer langen Wanderungen bereits drei Mal teilgenommen. „Es gibt viele Verpflegungsstationen und auch Haltestellen, an denen regelmäßig Busse verkehren.“Diese sogenannten Lumpensammler sind immer dann zur Stelle, wenn der Wanderappetit größer war, als die Füße zu tragen bereit sind. Mit den Shuttles können auch zähe Etappen überbrückt werden. „Niemand wird gezwungen, sich über seine Grenzen hinweg zu quälen“, erklärt Sabine Greiner, die bislang immer mit ihrer Freundin Alexandra gewandert ist. Es gibt eine Menge Fotos von den beiden, auf denen sich gut ablesen lässt, was die „24 Stunden von Bayern“Stunde für Stunde an Durchhaltevermögen abverlangen. Während die Bilder bei Tageslicht unbeschwerte und fröhliche Frauen zeigen, gleiten die nächtlichen Fotos im Schein der Stirnlampen ins Maskenhafte, bis sich die Erschöpfung schließlich auch hinter dem angestrengtesten Fotogrinsen nicht mehr verbergen lässt.
Die Strecken der 24-StundenWanderungen variieren je nach Jahr und Ort. Die Länge hängt in erster Linie vom Höhenprofil ab. Je steiler die Routen, umso kürzer die Wege. Schließlich soll sich niemand total verausgaben. In den Leitlinien des Veranstalters steht unter der Frage, welcher Fitnessgrad notwendig ist: „Sie sollten in der Lage sein, mindestens 30 bis 40 Kilometer zu wandern. Der Rest ist überwiegend Kopfsache.“Dass es immer wieder eine Herausforderung ist, die mentalen Grenzen auszuloten, weiß auch Sabine Greiner. „Die Nacht ist das Problem. Gerade dann, wenn es dämmert.“Und die 36-Jährige gibt leichten Herzens zu: „Auch wir haben schon den Bus genutzt, wenn die Füße zu schwer wurden.“Da sei es eine Wohltat, eine Etappe im gut temperierten Bus zu überspringen, bevor man die letzten Kilometer vor dem Ziel dann wieder auf dem inneren Schweinehund reite. Die Euphorie auf der Zielgeraden, auf die wollen die Wenigsten verzichten. Schließlich wartet dann auf einem zentralen Platz – heuer auf dem Bad Hindelanger Marktplatz – die örtliche Blaskapelle, um mit zünftigen Klängen die Müdigkeit aus den matten Körpern zu vertreiben. Und wenn schon nicht aus den Körpern, dann doch aus den Köpfen.
Und wie bereitet man sich auf 60 Kilometer Wandern in 24 Stunden vor? Sabine Greiner wird ein bisschen verlegen bei der Frage, bevor sie zugibt: „Eigentlich gar nicht.“Ganz stimmt das natürlich nicht. Denn die Frau aus Schorndorf mit Wurzeln im Thüringer Wald ist praktisch ständig irgendwo zu Fuß unterwegs, nicht nur an den Wochenenden und im Urlaub. Und jemand, der schon auf Höhenwanderungen im Himalaya-Gebirge an 6000ern gekratzt hat, der hat fast automatisch das Rüstzeug für die „24 Stunden von Bayern“.
„Natürlich gibt es auch Leute, die nach der Uhr laufen“, sagt Sabine Greiner. Ihre Freundin und sie gehörten aber sicher nicht dazu. „Wir wandern aus Freude und nicht aus irgendwelchen Leistungsgedanken.“Genusswandern im XXL-Format sozusagen. Überhaupt zeichne die Veranstaltung eine entspannte Atmosphäre aus, in der die Bewegung zwar zentral sei, die Kommunikation untereinander aber fast ebenso wichtig. Das Teilnehmerfeld ist einigermaßen bunt gemischt. „Eher sogar etwas Jüngere oder im mittleren Alter wie wir“, sagt Greiner und kann sich nicht daran erinnern, dass die Rentner die bisherigen Male in der Überzahl gewesen seien.
So wenig Sabine Greiner ihren Alltag vor der großen Herausforderung auch ändert – wenn nach den 24 Stunden alles vorbei ist und sie wieder im Büro, merkt man ihr das Abenteuer doch an. „Dann sehen meine Kollegen mich noch drei, vier Tage humpeln.“Ob sie dieses Mal wieder auf den Lumpensammler zurückgreifen muss, weiß Sabine Greiner noch nicht. Und es kümmert sie auch nicht. Wichtiger ist ihr ein anderes Ziel, im kommenden Herbst. Dann zieht es sie wieder in den Himalaya, wo sie endlich die 6000erMarke knacken will. Dann aber bei Tageslicht und nicht im Dunklen, und schon gar nicht im Wald, wo es Frau Greiner zu Hause in den frühen Morgenstunden ganz und gar nicht hinzieht. „Da ist mir mein Bett dann doch lieber.“