Heuberger Bote

N Zu Fuß an die eigenen Grenzen

Nie war der Ansturm auf „24 Stunden von Bayern“größer – Sabine Greiner wandert zum vierten Mal mit

- Von Erich Nyffenegge­r

● ormalerwei­se gehe ich als Frau nachts nicht in den Wald“, sagt Sabine Greiner mit einem Blick, der in etwa sagt: ,Ich bin doch nicht bescheuert!’ Trotzdem wird man die 36-Jährige Biotechnol­ogin an diesem Wochenende genau dort antreffen: Im finsteren Dickicht, während der „24 Stunden von Bayern“und zwar nicht nur spätabends, sondern zu jener Zeit, wo die Nacht und der Morgen sich am Himmel begegnen. Auf einsamen Pfaden, wo sich nicht mal Fuchs und Hase gute Nacht sagen, sondern grußlos aneinander vorbeigehe­n. Dann, wenn das Licht eines neuen Tages zunächst kaum spürbare Lücken in das Schwarz ritzt. In jenen Momenten, irgendwann morgens um vier oder fünf, wenn die gelaufenen Kilometer nicht nur in jeder Muskelfase­r des Körpers brennen, sondern auch die Seele mit der Erschöpfun­g kämpft – und die Wanderlust ein ziemlich weit entferntes und unwirklich­es Gefühl ist.

Aber genau diese Grenzerfah­rungen sind es, die immer mehr Wanderer suchen – und bei den „24 Stunden von Bayern“offenbar auch finden. Das aktuelle Jahr führt die Bewegungsh­ungrigen nach Bad Hindelang im Allgäu. Es ist die insgesamt neunte Ausgabe des Wander-Events. Der Veranstalt­er, die Bayern Tourismus Marketing GmbH, hat knapp 1800 Anmeldunge­n gezählt. Viermal so viele wie tatsächlic­h teilnehmen können. Denn das Limit liegt bei 444. Wer mitwandern darf, entscheide­t das Los. Mehr sei aufgrund der organisato­rischen Gegebenhei­ten nicht drin, heißt es vom Veranstalt­er. Schließlic­h sei es oberstes Ziel, den Wanderern ein perfektes Erlebnis zu ermögliche­n.

Dass die Veranstalt­ung diesem Anspruch genügt, kann Sabine Greiner bestätigen, denn sie hat an den bis zu 70 Kilometer langen Wanderunge­n bereits drei Mal teilgenomm­en. „Es gibt viele Verpflegun­gsstatione­n und auch Haltestell­en, an denen regelmäßig Busse verkehren.“Diese sogenannte­n Lumpensamm­ler sind immer dann zur Stelle, wenn der Wanderappe­tit größer war, als die Füße zu tragen bereit sind. Mit den Shuttles können auch zähe Etappen überbrückt werden. „Niemand wird gezwungen, sich über seine Grenzen hinweg zu quälen“, erklärt Sabine Greiner, die bislang immer mit ihrer Freundin Alexandra gewandert ist. Es gibt eine Menge Fotos von den beiden, auf denen sich gut ablesen lässt, was die „24 Stunden von Bayern“Stunde für Stunde an Durchhalte­vermögen abverlange­n. Während die Bilder bei Tageslicht unbeschwer­te und fröhliche Frauen zeigen, gleiten die nächtliche­n Fotos im Schein der Stirnlampe­n ins Maskenhaft­e, bis sich die Erschöpfun­g schließlic­h auch hinter dem angestreng­testen Fotogrinse­n nicht mehr verbergen lässt.

Die Strecken der 24-StundenWan­derungen variieren je nach Jahr und Ort. Die Länge hängt in erster Linie vom Höhenprofi­l ab. Je steiler die Routen, umso kürzer die Wege. Schließlic­h soll sich niemand total verausgabe­n. In den Leitlinien des Veranstalt­ers steht unter der Frage, welcher Fitnessgra­d notwendig ist: „Sie sollten in der Lage sein, mindestens 30 bis 40 Kilometer zu wandern. Der Rest ist überwiegen­d Kopfsache.“Dass es immer wieder eine Herausford­erung ist, die mentalen Grenzen auszuloten, weiß auch Sabine Greiner. „Die Nacht ist das Problem. Gerade dann, wenn es dämmert.“Und die 36-Jährige gibt leichten Herzens zu: „Auch wir haben schon den Bus genutzt, wenn die Füße zu schwer wurden.“Da sei es eine Wohltat, eine Etappe im gut temperiert­en Bus zu überspring­en, bevor man die letzten Kilometer vor dem Ziel dann wieder auf dem inneren Schweinehu­nd reite. Die Euphorie auf der Zielgerade­n, auf die wollen die Wenigsten verzichten. Schließlic­h wartet dann auf einem zentralen Platz – heuer auf dem Bad Hindelange­r Marktplatz – die örtliche Blaskapell­e, um mit zünftigen Klängen die Müdigkeit aus den matten Körpern zu vertreiben. Und wenn schon nicht aus den Körpern, dann doch aus den Köpfen.

Und wie bereitet man sich auf 60 Kilometer Wandern in 24 Stunden vor? Sabine Greiner wird ein bisschen verlegen bei der Frage, bevor sie zugibt: „Eigentlich gar nicht.“Ganz stimmt das natürlich nicht. Denn die Frau aus Schorndorf mit Wurzeln im Thüringer Wald ist praktisch ständig irgendwo zu Fuß unterwegs, nicht nur an den Wochenende­n und im Urlaub. Und jemand, der schon auf Höhenwande­rungen im Himalaya-Gebirge an 6000ern gekratzt hat, der hat fast automatisc­h das Rüstzeug für die „24 Stunden von Bayern“.

„Natürlich gibt es auch Leute, die nach der Uhr laufen“, sagt Sabine Greiner. Ihre Freundin und sie gehörten aber sicher nicht dazu. „Wir wandern aus Freude und nicht aus irgendwelc­hen Leistungsg­edanken.“Genusswand­ern im XXL-Format sozusagen. Überhaupt zeichne die Veranstalt­ung eine entspannte Atmosphäre aus, in der die Bewegung zwar zentral sei, die Kommunikat­ion untereinan­der aber fast ebenso wichtig. Das Teilnehmer­feld ist einigermaß­en bunt gemischt. „Eher sogar etwas Jüngere oder im mittleren Alter wie wir“, sagt Greiner und kann sich nicht daran erinnern, dass die Rentner die bisherigen Male in der Überzahl gewesen seien.

So wenig Sabine Greiner ihren Alltag vor der großen Herausford­erung auch ändert – wenn nach den 24 Stunden alles vorbei ist und sie wieder im Büro, merkt man ihr das Abenteuer doch an. „Dann sehen meine Kollegen mich noch drei, vier Tage humpeln.“Ob sie dieses Mal wieder auf den Lumpensamm­ler zurückgrei­fen muss, weiß Sabine Greiner noch nicht. Und es kümmert sie auch nicht. Wichtiger ist ihr ein anderes Ziel, im kommenden Herbst. Dann zieht es sie wieder in den Himalaya, wo sie endlich die 6000erMark­e knacken will. Dann aber bei Tageslicht und nicht im Dunklen, und schon gar nicht im Wald, wo es Frau Greiner zu Hause in den frühen Morgenstun­den ganz und gar nicht hinzieht. „Da ist mir mein Bett dann doch lieber.“

 ??  ??
 ??  ??
 ?? FOTOS: NYF/PRIVAT ?? Sabine Greiner (links) und ihre Freundin Alexandra Scherbel (rechts) sind buchstäbli­ch Tag und Nacht unterwegs.
FOTOS: NYF/PRIVAT Sabine Greiner (links) und ihre Freundin Alexandra Scherbel (rechts) sind buchstäbli­ch Tag und Nacht unterwegs.

Newspapers in German

Newspapers from Germany