Wider die Verwahrlosung und die Gewalt
Landratsamt Tuttlingen bringt ein Erwachsenenschutzkonzept auf den Weg
- Der Landkreis Tuttlingen will zunächst für die kommenden drei Jahre ein Erwachsenenschutzkonzept beim Pflegestützpunkt implementieren. Dazu hat er bereits vom Sozialministerium des Landes Baden-Württemberg eine Förderung in Höhe von 110 000 Euro erhalten. Das Ziel ist es dem Thema „Gefährdung von älteren, oft pflegebedürftigen Menschen“wirksamer als in der Vergangenheit zu begegnen.
Immer wieder, so geht es aus der Sitzungsvorlage für den Ausschuss für Soziales und Gesundheit des Kreistags, der sich mit dem Erwachsenenschutzkonzept in seiner Sitzung am Mittwochnachmittag befasst hat, hervor, werde das Landratsamt von Kommunen, Nachbarn und Bürgern auf verwahrloste oder verwirrte Personen angesprochen. „Ferner bekommen wir immer wieder Hinweise von Nachbarschaftshilfen oder ambulanten Pflegediensten, dass man sich Sorgen um die Situation eines pflegebedürftigen Menschen macht“, heißt es dort weiter.
Pflegeheime schon im Blick
Dabei gehe es um Verwahrlosung, Vereinsamung und unzureichende Pflege, aber auch um psychische und physische Gewalt und völlige Vernachlässigung von Pflegebedürftigen. Im Gegensatz zu Pflegeheimen, bei denen diese Problematik schon länger thematisiert werde, sei das bei häuslichen Pflege- und Versorgungsarrangements zumeist unbemerkt oder unklar.
Im Sinne einer „Sorgenden Gesellschaft“möchte sich das Landratsamt diesem Komplex annehmen und das öffentliche Bewusstsein für dieses Thema schärfen. „Es geht dabei um den Aufbau einer Sorgenkultur, die Demütigungen durch Gewalthandlungen im Zusammenwirken von Familien, sozialen Nachbarschaften, bürgerschaftlich Engagierten sowie Professionellen vorbeugt und entgegenwirkt“, heißt es weiter. Ein Ansprechpartner beim Pflegestützpunkt soll den gemeldeten Fällen nachgehen. Sollte sich nach drei Jahren eine Verbesserung der Situation eingestellt haben, soll eine 0,5Kraft dauerhaft angestellt werden.
Landrat Stefan Bär betonte, dass die Situation nicht neu sei: „Wer denkt, dass früher in einem Drei-Generationen-Haushalt alles gut war, der macht sich etwas vor.“Am Ende gelte aber die Eigenverantwortung.
Die Mitglieder des Ausschusses waren einhellig der Meinung, dass das Erwachsenenschutzkonzept dringend notwendig ist. Hans Trümper (CDU) betonte, dass er es nie für möglich gehalten habe, dass das Ausmaß des Problems „so gravierend“sei. Das meiste passiere im Familienkreis, von daher sei er froh, „dass wir der Sache nachgehen“. Wolfgang Wuchner (CDU) sprach von einer großen Grauzone. Das Thema sei schon beim Landesseniorenrat angekommen und diskutiert worden.
Unangemeldete Kontrollen
Auch Paul Haug (FDP) betonte, dass er zuerst schockiert gewesen sei. Jetzt fände er es gut, dass der Landkreis das Erwachsenenschutzkonzept umsetzen möchte. „Ob wir aber damit das Problem der Zuständigkeit lösen können, da bin ich skeptisch“, sagte er. Schließlich ist nicht klar, wer bei einer Verwahrlosung oder Gewaltanwendung als Behörde einschreiten muss. Haug betonte, dass Kontrollen unangemeldet durchgeführt werden müssten: „Angemeldete Kontrollen bringen gar nichts“, sagte er. Notfalls müsse man sich auch mit Gewalt Zugang verschaffen können.
Dieter Müller (SPD) sprach von einer „sensiblen Geschichte“. Herman Polzer (OLG) nahm eine andere Perspektive ein: „Man muss sich auch in die Situation reinversetzen und die Sturheit älterer Menschen betrachten.“So könne es sein, dass es jedem passieren könne, unangemessen zu reagieren: „Diejenigen brauchen Unterstützung und nicht nur den erhobenen Zeigefinger.“