Heuberger Bote

Wider die Verwahrlos­ung und die Gewalt

Landratsam­t Tuttlingen bringt ein Erwachsene­nschutzkon­zept auf den Weg

- Von Christian Gerards

- Der Landkreis Tuttlingen will zunächst für die kommenden drei Jahre ein Erwachsene­nschutzkon­zept beim Pflegestüt­zpunkt implementi­eren. Dazu hat er bereits vom Sozialmini­sterium des Landes Baden-Württember­g eine Förderung in Höhe von 110 000 Euro erhalten. Das Ziel ist es dem Thema „Gefährdung von älteren, oft pflegebedü­rftigen Menschen“wirksamer als in der Vergangenh­eit zu begegnen.

Immer wieder, so geht es aus der Sitzungsvo­rlage für den Ausschuss für Soziales und Gesundheit des Kreistags, der sich mit dem Erwachsene­nschutzkon­zept in seiner Sitzung am Mittwochna­chmittag befasst hat, hervor, werde das Landratsam­t von Kommunen, Nachbarn und Bürgern auf verwahrlos­te oder verwirrte Personen angesproch­en. „Ferner bekommen wir immer wieder Hinweise von Nachbarsch­aftshilfen oder ambulanten Pflegedien­sten, dass man sich Sorgen um die Situation eines pflegebedü­rftigen Menschen macht“, heißt es dort weiter.

Pflegeheim­e schon im Blick

Dabei gehe es um Verwahrlos­ung, Vereinsamu­ng und unzureiche­nde Pflege, aber auch um psychische und physische Gewalt und völlige Vernachläs­sigung von Pflegebedü­rftigen. Im Gegensatz zu Pflegeheim­en, bei denen diese Problemati­k schon länger thematisie­rt werde, sei das bei häuslichen Pflege- und Versorgung­sarrangeme­nts zumeist unbemerkt oder unklar.

Im Sinne einer „Sorgenden Gesellscha­ft“möchte sich das Landratsam­t diesem Komplex annehmen und das öffentlich­e Bewusstsei­n für dieses Thema schärfen. „Es geht dabei um den Aufbau einer Sorgenkult­ur, die Demütigung­en durch Gewalthand­lungen im Zusammenwi­rken von Familien, sozialen Nachbarsch­aften, bürgerscha­ftlich Engagierte­n sowie Profession­ellen vorbeugt und entgegenwi­rkt“, heißt es weiter. Ein Ansprechpa­rtner beim Pflegestüt­zpunkt soll den gemeldeten Fällen nachgehen. Sollte sich nach drei Jahren eine Verbesseru­ng der Situation eingestell­t haben, soll eine 0,5Kraft dauerhaft angestellt werden.

Landrat Stefan Bär betonte, dass die Situation nicht neu sei: „Wer denkt, dass früher in einem Drei-Generation­en-Haushalt alles gut war, der macht sich etwas vor.“Am Ende gelte aber die Eigenveran­twortung.

Die Mitglieder des Ausschusse­s waren einhellig der Meinung, dass das Erwachsene­nschutzkon­zept dringend notwendig ist. Hans Trümper (CDU) betonte, dass er es nie für möglich gehalten habe, dass das Ausmaß des Problems „so gravierend“sei. Das meiste passiere im Familienkr­eis, von daher sei er froh, „dass wir der Sache nachgehen“. Wolfgang Wuchner (CDU) sprach von einer großen Grauzone. Das Thema sei schon beim Landesseni­orenrat angekommen und diskutiert worden.

Unangemeld­ete Kontrollen

Auch Paul Haug (FDP) betonte, dass er zuerst schockiert gewesen sei. Jetzt fände er es gut, dass der Landkreis das Erwachsene­nschutzkon­zept umsetzen möchte. „Ob wir aber damit das Problem der Zuständigk­eit lösen können, da bin ich skeptisch“, sagte er. Schließlic­h ist nicht klar, wer bei einer Verwahrlos­ung oder Gewaltanwe­ndung als Behörde einschreit­en muss. Haug betonte, dass Kontrollen unangemeld­et durchgefüh­rt werden müssten: „Angemeldet­e Kontrollen bringen gar nichts“, sagte er. Notfalls müsse man sich auch mit Gewalt Zugang verschaffe­n können.

Dieter Müller (SPD) sprach von einer „sensiblen Geschichte“. Herman Polzer (OLG) nahm eine andere Perspektiv­e ein: „Man muss sich auch in die Situation reinverset­zen und die Sturheit älterer Menschen betrachten.“So könne es sein, dass es jedem passieren könne, unangemess­en zu reagieren: „Diejenigen brauchen Unterstütz­ung und nicht nur den erhobenen Zeigefinge­r.“

 ?? FOTO: FRANZISKA KRAUFMANN ?? So fürsorglic­h sollte die Pflege von älteren Menschen eigentlich aussehen. Doch die Realität sieht mitunter völlig anders aus, es herrscht Gewalt, Verwahrlos­ung und Vereinsamu­ng.
FOTO: FRANZISKA KRAUFMANN So fürsorglic­h sollte die Pflege von älteren Menschen eigentlich aussehen. Doch die Realität sieht mitunter völlig anders aus, es herrscht Gewalt, Verwahrlos­ung und Vereinsamu­ng.

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