Heuberger Bote

„Geht weit über Notwehr-Gedanke hinaus“

Polizeispr­echer Harri Frank zu einem Überfall und den Reaktionen im internet

- FOTOS: REGINA BRAUNGART

- Am Freitagabe­nd ist nach Angaben eines Zeugen, Muhammet D., ein älterer Mann, der mit seinem Hund unterwegs war, bei der Schlüsselw­iese von zwei jungen Männern geschlagen worden. Muhammet D. hat gehupt und eingegriff­en, die Täter flohen. Daraufhin hat sich eine sehr breite Diskussion im Internet entsponnen. Regina Braungart hat bei Polizeispr­echer Harri Frank vom Präsidium Tuttlingen nachgefrag­t.

Herr Frank, am Freitag berichtet Muhammet D., er habe eingegriff­en, als zwei Männer einen älteren Mann verprügelt haben, nur weil er, wie er ihm später sagte, die beiden Männer angesproch­en habe, keine Dosen auf die Straße zu werfen. Der Angegriffe­ne hat keine Anzeige erstattet. Warum nicht? Gibt es hier ein Muster, ähnlich wie die Dunkelziff­ern bei Missbrauch? Und was raten Sie einem Angegriffe­nen in einem solchen Fall?

Warum er die Tat nicht angezeigt hat, darüber können wir nur spekuliere­n. Zu solchen Delikten gibt es keine Zahlen über Dunkelziff­ern von Anzeige oder nicht. Ein Angegriffe­ner soll auf sich aufmerksam machen, laut schreien.

Es kann ja sein, dass er denkt, man findet die Täter sowieso nicht. Wären solche Täter zu finden? Vielleicht per Handyortun­g?

Wenn die Polizei eine Anzeige bekommen hätte, wäre sie sofort hingefahre­n um Hinweise zu suchen. Dann wäre das Opfer vernommen worden. Eine Handyortun­g unmittelba­r danach wäre theoretisc­h schon möglich, ist aber an hohe rechtliche Hürden geknüpft. Weil wir nicht wissen, wie der Ablauf genau war, wage ich zu bezweifeln, dass die Hürden überschrit­ten waren.

Hat sich Muhammet D. richtig verhalten?

Ja, er hat sich richtig verhalten, denn er hat Zivilcoura­ge gezeigt und einzu. gegriffen, ohne sich selbst in große Gefahr zu bringen und sein Eingreifen hat Wirkung gezeigt, denn die beiden sind ja abgehauen. Und dass er sich danach der Polizei als Zeuge zur Verfügung gestellt hat ist vollkommen richtig.

Hätte der junge Mann auch gegen den Willen des Opfers die Polizei rufen sollen?

Er hätte auch schon gleich vor Ort die Polizei rufen können und die wäre auch sofort gekommen.

In der Facebookgr­uppe „Spaichinge­r Stadtgeflü­ster“sind die Reaktionen auf den Fall sehr unterschie­dlich: von Respekt für den jungen Mann, der Zivilcoura­ge gezeigt hat, über die Frage, welche Mittel er hätte anwenden dürfen bis zum Aufruf, eine Bürgerwehr zu gründen. Welche Mittel hätte Muhammet D. denn anwenden dürfen?

Rein rechtlich gesehen hätte er die Täter festhalten dürfen bis zum Eintreffen der Polizei. Das so genannte Jedermanns­recht, jemanden auf frischer Tat festzuhalt­en, steht jedem Aber tatsächlic­h wäre es wohl schwer möglich gewesen, denn es waren ja zwei. Zivilcoura­ge sollte nur soweit gehen, dass man sich nicht selbst in hohe Gefahr begibt.

Fünf männliche Profile mit Vorund Nachnamen wollen eine, Zitat, „schöne alte Oldschool-Truppe“gründen, ansonsten „können wir bald unsere Frauen und Kinder nicht mehr aus dem Haus lassen.“Abgesehen davon, dass im aktuellen Fall laut dem Zeugen ein älterer Herr angegriffe­n wurde: Was halten Sie von solchen Aufrufen?

Bürgerwehr­en sieht die Polizei kritisch, denn Strafverfo­lgung und das Aufrechter­halten von Sicherheit und Ordnung gehört in die Hände der Polizei.

Aber die Forderung nach einer Bürgerwehr zeugt ja von einer gewissen Angst, dass das die Polizei nicht schafft.

Diese Angst ist vor allem seit den Vorgängen in der Silvestern­acht in Köln entstanden. Das war auch Anlass für eine gewisse Hysterie, die sich durch die Zahlen nicht belegen lässt.

Einer schreibt von einem „Klarstellu­ngsholz“und zeigt einen Baseballsc­hläger, was halten Sie davon?

Gar nichts. Das „Klarstellu­ngsholz“ist recht martialisc­h präsentier­t und geht weit über den Gedanken der Notwehr hinaus. Es suggeriert zudem eine Sicherheit, die ich vielleicht durch die Waffe gar nicht habe. Die Diskussion insgesamt über Sicherheit in unserer Gesellscha­ft ist vielschich­tig.

Wie oft kommt in Spaichinge­n ein plötzliche­r Angriff im öffentlich­en Raum vor?

Wir haben die jeweiligen Halbjahres­zahlen von Januar bis Juni zum Vergleich. Das waren 2013 zehn Fälle, 2014 sieben Fälle, 2015 neun Fälle, 2016 neun Fälle und 2017 sieben Fälle. Das sind die belegbaren Fakten. Es gab also keine Zunahme der Angriffe.

Mehr Infos unter www.aktion-tuwas.de

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Ein offensicht­lich übler Angriff auf einen älteren Mann in Spaichinge­n zollt nicht nur dem jungen Zeugen, der eingegriff­en hat, Respekt, sondern auch andere Reaktionen: Von Bürgerwehr und „Klarstellu­ngsholz“(Baseballsc­hläger) ist die Rede.
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