Schulz kämpft als Kümmerer
Der SPD-Kanzlerkandidat erlebt im Schanzenviertel Pöbeleien und Dankbarkeit
- Hier, das ist er. Der Apotheker Maurice Kalil hält SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz einen riesigen Mauerbrocken von rund 20 Zentimeter Durchmesser entgegen. Ein „Erinnerungsstück“an den G20-Gipfel. Gerade gegenüber schaut Schulz auf das Haus mit dem Gerüst, von dem aus Randalierer Steine und Molotowcocktails auf die Straße warfen. Jenes Haus, das eine Woche lang in allen Nachrichten zu sehen war und jetzt weltweit bekannt ist. Schulz besucht das Schanzenviertel in Hamburg, das durch die Proteste während des Gipfels in Verruf geraten war.
Eigentlich sollten es entspannte Bilder werden: 70 Tage vor der Wahl und sechs Wochen vor dem ganz harten Wahlkampfabschluss tourt Martin Schulz durch Deutschland. Durch Bayern, durch sein Heimatland Nordrhein-Westfalen. Kicken mit der Jugend vom 1. FC Köln, Dombesuch in Aachen und dann der Abschluss in Hamburg, inklusive Hafenrundfahrt. Doch es kam anders.
SPD als Sündenbock
Die Krawalle beim G20-Gipfel haben auch für den Wahlkampf der SPD einiges geändert – nicht zum Besseren. Denn beim Thema innere Sicherheit wird nach wie vor der CDU die Kernkompetenz zugeschrieben. Schlimmer noch, einige Christdemokraten sprachen von linken Krawallen und rückten die SPD gleich mit ins Blickfeld. Eine indirekte Beschuldigung, die Martin Schulz auf die Palme bringt.
Bei seinem Rundgang durch das Schanzenviertel wird der SPD-Kanzlerkandidat, der von vielen Journalisten begleitet wird, mehrmals angepöbelt. „Hau ab, Martin“ruft jemand. Viel zu spät komme er, meinen andere. Die Politik, sein SPD-Freund und Hamburgs Oberbürgermeister Olaf Scholz, aber auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) seien doch an allem schuld. „Verpiss dich!“, ruft einer. Schulz erträgt das alles gelassen. „Es gibt immer einige, die einen Knall haben.“
Aber die Mehrheit der Leute zeige sich dankbar fürs Zuhören, sie schildern ihre Erlebnisse. „Ich habe selten so differenzierte Betrachtungen gehört wie hier“, sagt Schulz nach dem Besuch des Schanzenviertels, „und ich wünsche mir eine so rationale Art auch bundesweit.“Gerade hat der Apotheker Kalil ihm berichtet, dass es nicht die Leute aus dem Viertel waren, nicht die Besucher des linksautonomen Zentrums „Rote Flora“, sondern dass er Russisch, Schweizerisch und Spanisch gehört hat bei den Krawallmachern. Schulz fordert weitere Aufklärung. Viel zu schnell habe es „Millionen Einsatzführer“in Deutschland gegeben, die alles besser wissen.
An der Straßenecke steht das Kommunikationsteam der Polizei. Sie hat einen kleinen Stand aufgebaut, um mit den Bürgern zu reden und Entschädigungsformulare auszuteilen. Noch bevor der G20-Gipfel beendet war, hatten sich Angela Merkel und Olaf Scholz geeinigt, dass Bund und Land die Hamburger Bürger entschädigen sollen. Rund 250 Anträge sind schon eingegangen, vom kaputten Blumentopf bis zum abgefackelten Auto. Oliver Kusber steht hier, um mit den Bürgern zu reden. Er ist seit 33 Jahren Schutzmann. „Der Vorwurf schmerzt, wir hätten die Bevölkerung im Stich gelassen“, sagt Kusber. Umso mehr freut es ihn, dass er hier auch Dank und Anerkennung erfährt. Eine große Solidarisierung der Anwohner mit der Polizei stellt Martin Schulz fest. „Das ist ein gutes Zeichen.“
„Toll“, sagt Martin Schulz dann gerne. Der Mann aus Würselen mit dem unüberhörbar rheinischen Einschlag, der mit 31 Jahren Bürgermeister seiner Heimatstadt und am Ende EU-Parlamentspräsident wurde, wird von den Menschen ungezwungen angesprochen. „Die Leute brauchen Zuwendung“, sagt er im Schanzenviertel. Kümmern will er sich um die vielen Probleme der Menschen, so verspricht er im Wahlkampf, und als Kümmerer ist er auch in Hamburg unterwegs.
Hamburgs OB Olaf Scholz ist durch die G20-Randale mächtig unter Druck geraten. „Und Frau Merkel tut so, als sei sie gar nicht in Hamburg gewesen“, schimpft Martin Schulz. „Das ist nicht akzeptabel.“
Am Morgen hat Schulz noch einmal lange mit Scholz geredet, bevor die beiden zusammen bei Airbus in Finkenwerder zu Besuch sind. Schulz und Scholz, die beiden Politiker mit ähnlicher Statur und doch so komplett anderer Ausstrahlung. Wo Scholz ernst und fast verkniffen wird, lacht Schulz gerne ein Problem weg.
Während Schulz am Abend zuvor im Schanzenviertel war, hat Merkel mit Macron verabredet, einen europäischen Kampfjet zu entwickeln. Da wäre dann auch Airbus beteiligt. Schulz kämpft dagegen, dass Deutschland den Verteidigungsetat auf zwei Prozent aufstocken will. Ist er auch gegen die Neuentwicklung? „Im Gegenteil“, sagt Schulz. Solche gemeinsamen europäischen Projekte helfen doch gerade, Geld zu sparen. „Europa ist Grundvoraussetzung für den Erfolg.“
Das will er auch am Sonntag in Berlin noch einmal betonen, wenn er seine Vorstellungen für ein modernes und gerechtes Deutschland in einem besseren Europa vorstellt. Darum will er sich kümmern.