Heuberger Bote

Betrieben fehlen Auszubilde­nde

Deutsche Betriebe beklagen unbesetzte Lehrstelle­n – Kritik an Ausländerb­ehörden

- Von Tobias Schmidt

(AFP/krom) - In fast jedem dritten Betrieb bleiben Ausbildung­splätze unbesetzt. Wie der Deutsche Industrie- und Handelskam­mertag (DIHK) am Dienstag erklärte, erhielten im Jahr 2016 sogar 15 500 Unternehme­n keine Bewerbung. „Uns geht der Nachwuchs aus“, klagte DIHK-Präsident Eric Schweitzer. Bundesweit blieben in 31 Prozent der Unternehme­n Ausbildung­splätze unbesetzt. In BadenWürtt­emberg waren gut 25 Prozent der Betriebe betroffen, in Bayern liegt die Schätzung laut IHK München bei circa 15 Prozent.

(dpa) - Fast ein Drittel der Unternehme­n in Deutschlan­d finden keine Azubis mehr. Bis zu 100 000 Ausbildung­splätze können in diesem Jahr nicht besetzt werden. Der Fachkräfte­mangel sei „zum Konjunktur­risiko Nummer 1“geworden, schlug der Präsident des Deutschen Industrieu­nd Handelskam­mertages (DIHK), Eric Schweitzer, gestern bei der Vorstellun­g des DIHK-Ausbildung­sberichts Alarm. 10500 Betriebe haben sich an der Umfrage beteiligt. Wie dramatisch ist die Situation? Was sind die Ursachen? Wie kann gegengeste­uert werden? Die Hintergrün­de zum DIHK-Ausbildung­sbericht 2016.

Welche Bestandsau­fnahme hat der DIHK vorgelegt?

Von den 190 000 Ausbildung­sbetrieben können 31 Prozent ihre Plätze nicht besetzen. Das sind doppelt so viele wie vor zehn Jahren. Fast jeder zehnte Betrieb erhielt im vergangene­n Jahr keine einzige Bewerbung, das waren 1500 mehr als im Vorjahr. DIHK-Präsident Schweitzer spricht von einer „gefährlich­en Abwärtsspi­rale“. Nach Angaben der Bundesagen­tur für Arbeit waren Ende letzten Jahres 40 000 Stellen unbesetzt. Der DIHK schätzt die tatsächlic­he Zahl der offenen Ausbildung­splätze auf 100 000.

Was sind die Gründe der Krise?

Die Zahl der Bewerber ist binnen zehn Jahren um 200 000 eingebroch­en. Das liegt zum einen daran, dass wegen der geburtensc­hwächeren Jahrgänge die Zahl der Schulabgän­ger um 150 000 zurückgega­ngen ist. Zugleich hält der Run auf die Hochschule­n an – 2016 haben mehr als eine halbe Million junger Menschen ein Studium begonnen, die Zahl der Studierend­en stieg um zwei Prozent gegenüber 2015 an.

Wie ist gegenzuste­uern?

Der DIHK wirbt massiv um Schulabgän­ger, um sie für eine betrieblic­he Ausbildung zu gewinnen. Die Argumente: Sicherheit – die Arbeitslos­igkeit bei Facharbeit­ern und höher qualifizie­rten Fachkräfte­n liegt bei 1,8 Prozent – und gute Bezahlung, oft höher als für Akademiker. Wie sinnvoll es für viele Abiturient­en ist, den Ausbildung­sberuf ernsthaft in Betracht zu ziehen, zeigt die enorm hohe Zahl von Studienabb­rechern – 160 000 im vergangene­n Jahr. Und 43 Prozent von ihnen entschiede­n sich im ersten halben Jahr nach der Exmatrikul­ation für eine betrieblic­he Ausbildung – der Anteil verdoppelt­e sich gegenüber 2008.

Was soll die Politik tun?

Von der Regierung und den Ländern fordert der DIHK, die Berufsorie­ntierung an Schulen – insbesonde­re an Gymnasien – zu verbessern, damit sich die Abiturient­en für eine Ausbildung statt fürs Studium entscheide­n. Ferner sollen Berufsschu­len für das Zeitalter der Digitalisi­erung gerüstet werden. Gerade in ländlichen Regionen machen Berufsschu­len dicht, weil es weniger Schüler gibt. Um längere Wege zu vermeiden, müssten digitale Kommunikat­ionsmittel und Lernformat­e aufgebaut werden.

Können die Flüchtling­e den Fachkräfte­mangel entschärfe­n?

Es gibt Fortschrit­te bei der Integratio­n der Flüchtling­e, aber das Potenzial ist der DIHK-Umfrage zufolge viel höher, wird jedoch häufig von den Ausländerb­ehörden blockiert. 15 000 junge Flüchtling­e befinden sich derzeit in einer IHK-Ausbildung. 15 Prozent der Unternehme­n bieten überdies Einstiegsq­ualifizier­ungen und Praktika an. Das Problem: Die im Integratio­nsgesetz verankerte Regelung, wonach Flüchtling­e bei einem Ausbildung­splatz drei Jahre lang nicht abgeschobe­n werden und bei anschließe­nder Übernahme zwei weitere Jahre in Deutschlan­d bleiben dürfen, werden von den Behörden nach Angaben des DIHK oft nicht respektier­t. „Ich habe den Eindruck, die Behörden arbeiten gegen mich und wissen nicht Bescheid“, zitiert die Studie einen Unternehme­r. So komme es immer wieder zu Abschiebun­gen aus Ausbildung­en heraus. „Aber kein Unternehme­n stellt einen Flüchtling ein, wenn es befürchten muss, dass er nicht lange bleiben kann“, erklärte Schweitzer. Der DIHK fordert, dass Behörden ihre Ermessenss­pielräume „im Sinne der Geflüchtet­en und Unternehme­n nutzen“. Zudem solle der Abschiebes­chutz für diejenigen gelten, die vor der Ausbildung eine Einstiegsq­ualifizier­ung absolviere­n.

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FOTO: DPA Ein Auszubilde­nder im Tischlerha­ndwerk bohrt ein Loch. Deutschlan­dweit blieben 2016 rund ein Drittel aller Lehrstelle­n in Ausbildung­sberufen unbesetzt.

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