Heuberger Bote

Wirtschaft fordert Brexit-Fahrplan

Kritik an britischer Haltung zu Beginn der neuen Verhandlun­gsrunde

- Von Daniela Weingärtne­r und sz

(AFP) - Der Deutsche Industrie- und Handelskam­mertag (DIHK) mahnt bei den weiterhin schleppend verlaufend­en BrexitVerh­andlungen zwischen EU und Großbritan­nien einen konkreten Fahrplan sowie inhaltlich­e Schwerpunk­te an. Laut DIHK hätten deutsche Unternehme­n in Großbritan­nien mehr als 2000 Niederlass­ungen mit rund 400 000 Mitarbeite­rn. Von daher sei Eile geboten. Seit Montag verhandeln die EU und Großbritan­nien erstmals in Brüssel über den Brexit. Die Positionen liegen weit auseinande­r.

- Manchmal sagen Bilder mehr als tausend Worte. In dieser Woche soll es richtig losgehen mit den Brexitverh­andlungen. Der britische Chefunterh­ändler David Davis zeigte sich in Brüssel am Montag freudestra­hlend den Fotografen. Nach dem guten Start müsse nun „Substanz“in die Sache kommen, sagte er. Was er darunter versteht, blieb offen.

Während nämlich der EU-Chefunterh­ändler Michel Barnier und seine Stellvertr­eterin Sabine Weyand bei dem Treffen dicke Aktenstape­l mitbrachte­n, war der Brite mit leeren Händen gekommen. Nicht einmal eine Stunde soll Davis’ Gespräch mit Barnier gedauert haben, da reiste der Brite schon wieder ab. Nach Darstellun­g des „Guardian“wurde Davis im Westminste­r-Parlament bei einer wichtigen Abstimmung gebraucht. Allerdings sorgte die ergebnislo­se Blitzvisit­e in Brüssel für Stirnrunze­ln bei den Briten. Die Labour-Opposition wirft der Regierung von Theresa May vor, bei den Verhandlun­gen mit der EU unvorberei­tet zu sein. „Wir brauchen eine neue Herangehen­sweise und wir wollen echte Fortschrit­te in Gesprächen“, forderte der BrexitBeau­ftragte von Labour, Keir Starmer.

Aufwendige Prozedur

Zu den strittigen Fragen gehört die Wahrung der Rechte von EU-Bürgern in Großbritan­nien nach der Trennung. May überbracht­e dazu persönlich ein Angebot beim vergangene­n Gipfel im Juni. Details wurden später nachgereic­ht. Von EU-Seite wird kritisiert, die Prozedur sei zu aufwendig, der Familienna­chzug nicht gesichert. Die EU stört auch, dass als Referenz britisches Recht genannt wird, das sich nachträgli­ch ändern könne. Deshalb, sagt man in Brüssel, müsse für die Betroffene­n in letzter Instanz der Europäisch­e Gerichtsho­f zuständig sein. Das ist jedoch aus der Sicht der Briten, die den ungeliebte­n EuGH loswerden wollen, eine Provokatio­n.

Zu den drei anderen Bereichen (finanziell­e Vereinbaru­ng, Grenze nach Nordirland, Sonderrege­ln für in der EU zugelassen­e britische Produkte), schweigt sich die britische Seite aus. Sie müssen aber aus EU-Sicht geklärt sein, bevor ein neuer Partnersch­aftsvertra­g besprochen werden kann. „They can go whistle“hatte der britische Außenminis­ter Boris Johnson im Unterhaus auf die Frage geantworte­t, wie er die Austrittsr­echnung der EU-Kommission von bis zu 100 Milliarden Euro bewerte.

Übersetzt heißt das: „Da können sie lange warten.“Eigentlich bedeutet „to whistle“pfeifen, weshalb Barnier gefragt wurde, ob er nach der britischen Pfeife zu tanzen gedenke. Dessen Antwort: „Ich kann niemanden pfeifen hören, ich höre nur die Uhr, die tickt.“Er wünsche sich einen geordneten Austritt. „Doch egal, ob wir ein Abkommen schließen oder nicht – am 30. März 2019 um Mitternach­t wird Großbritan­nien ein Drittstaat.“Bei den Finanzford­erungen gehe es nicht um eine Strafe, betont Barnier. „Wir verlangen lediglich, dass das Vereinigte Königreich die Zahlungen leistet, zu denen es sich vertraglic­h verpflicht­et hat. Dafür gibt es eine rechtliche Grundlage.“Man könne über den einen oder anderen Posten reden, dazu seien Verhandlun­gen da. „Doch dazu muss die Gegenseite im Grundsatz anerkennen, dass sie diese Aufträge erteilt hat. Vertrauen entsteht, wenn man seine Rechnungen begleicht.“

Barnier, der als Brexitverh­andler gern seine Erfahrunge­n als Regionalko­mmissar mit dem nordirisch­en Friedenspr­ozess in die Waagschale wirft, steuerte Reminiszen­sen aus seiner Jugend bei: Als 21-Jähriger habe er für den Beitritt Großbritan­niens zur EU geworben. „Keine Sekunde habe ich geglaubt, dass es um ein Land geht, das nicht Verantwort­ung übernimmt für seine Verpflicht­ungen.“

Diese Verpflicht­ungen sind milliarden­schwer. Es geht um die Pensionsza­hlungen für britische EU-Beamte, die Umzugskost­en für die Agenturen sowie Zahlungsve­rpflichtun­gen, die Großbritan­nien übernommen hat.

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FOTO: AFP Schlecht vorbereite­t? Zu Beginn der neuen Brexit-Gesprächsr­unde mit Michel Barnier (2 v.li.) in Brüssel brachte David Davis (re.) scheinbar gar keine Unterlagen mit aus London.

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