Die Eiszeit bricht an
Deutsch-türkische Beziehungen sind nach der Inhaftierung von Aktivisten auf dem Tiefpunkt
- Allein die Gesichtszüge von Bundesaußenminister Sigmar Gabriel (SPD) sprechen am Donnerstag Bände. Gabriel verdeutlicht, dass die Geduld der Bundesregierung am Ende sei und es Zeit für ein klares Zeichen ist. Er wechselt plötzlich vom üblichen moderaten Diplomatenton zur knallharten Ansage: Schluss mit Provokationen, Drohungen und Erpressungsversuchen. Der Vizekanzler zieht die Reißleine und stellt die Neuausrichtung der Berliner Türkeipolitik vor. Ende der Zurückhaltung und Schluss mit diplomatischen Verklausulierungen.
„Wieder und wieder haben wir Geduld geübt, uns zurückgenommen und nicht mit gleicher Münze heimgezahlt“, erinnert Gabriel. Damit sei es jetzt vorbei. Die Hoffnungen, dass schon wieder Vernunft in Ankara einkehren und man zu gedeihlichen Beziehungen zurückfinden werde, seien enttäuscht worden. Stattdessen seien immer neue Stufen der Eskalation eingetreten. Jetzt kommt es zum offenen Bruch. Eiszeit zwischen Berlin und Ankara.
Furcht vor Haft für Urlauber
Hatte sich die Bundesregierung bis zuletzt trotz weiterer Zuspitzung der Krise zurückgehalten und immer wieder um Entspannung bemüht, sorgte jetzt offenbar die Inhaftierung des deutschen Menschenrechtlers Peter Steudtner für die Wende. Der Amnesty-International-Aktivist ist der 22. Deutsche, der nach dem gescheiterten Putschversuch des vergangenen Jahres in der Türkei unter fadenscheinigen Gründen inhaftiert worden ist.
Der prominenteste von ihnen, der Journalist Deniz Yücel, ist mittlerweile seit fast sechs Monaten im Gefängnis, ohne dass es ein rechtsstaatliches Verfahren oder eine Anklage gegeben hätte. Die Kanzlerin und ihre Minister sorgen sich, dass es weitere willkürliche Verhaftungen geben könnte, auch von Urlaubern. Einen Bericht, nachdem Erdogan den Journalisten Yücel und andere deutsche Häftlinge im Tausch gegen die Auslieferung zweier türkischer Generäle freilassen wollte, die in Deutschland Asyl beantragt hatten, bestätigt Gabriel am Donnerstag nicht.
Berlin reagiert hingegen mit einem Bündel von Maßnahmen: Die Reisehinweise für Türkeibesucher und Urlauber sind verschärft worden, was jedoch noch keiner Reisewarnung entspricht. Die Bundesregierung empfiehlt deutschen Unternehmen, nicht mehr in der Türkei zu investieren. Und Wirtschaftshilfen, hier vor allem die Hermesbürgschaften, kommen auf den Prüfstand. „Man kann niemandem zu Investitionen in einem Land raten, wenn es dort keine Rechtssicherheit mehr gibt und sogar Unternehmen in die Nähe von Terroristen gerückt werden“, sagt Gabriel. Erdogan wolle offenbar Rechtsstaat und Demokratie abbauen, so der Außenminister. Natürlich sei man auch weiterhin an guten Beziehungen zur Türkei interessiert, versichert er. In der Türkei wirft Präsidentensprecher Ibrahim Kalin der Bundesregierung vor, die Beziehungen im Wahlkampf dem Populismus zu opfern. Es sei respektlos, die türkische Justiz als Befehlsempfängerin der Regierung hinzustellen, kritisierte Kalin. Allerdings hatte Erdogan selbst Steudtner und die anderen Anfang Juli bei einem Seminar in der Nähe von Istanbul festgenommenen Aktivisten öffentlich als staatsfeindliche Verschwörer vorverurteilt. Insbesondere seit dem Putschversuch haben Regierungskritiker Zweifel an der Unabhängigkeit der türkischen Justiz.
Kalin spricht weiterhin von einer deutschen „Mode“, bei jeder Gelegenheit über die Türkei herzufallen. Die Warnung Gabriels an deutsche Touristen und Unternehmer weist Kalin mit scharfen Worten zurück. Besucher und Investoren aus der Bundesrepublik seien in seinem Land sicher. Für die inhaftierten Deutschen gilt dies jedoch nicht: Bei ihnen handelt es sich nach Worten des Sprechers um Verdächtige, die Böses im Schilde führten.
Doch gibt es am Donnerstag auch versöhnliche Töne. „Ich nenne ihn immer noch meinen Freund“, sagt der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu am Donnerstag bei einem Besuch auf Nordzypern über Gabriel. „Man kann nicht in jeder Sache einer Meinung sein, aber was zählt ist, darüber sprechen zu können.“Der Kontakt sei auch in schwierigen Zeiten nie abgebrochen, sagt Cavusoglu. „Wir rufen uns gegenseitig an, wann immer wir wollen. Außerdem kommunizieren wir auch über SMS, also über Kurznachrichten.“